Deutschland

Freitag, 4. September 2009

Meinungsumfragen – die zweite große Lüge

Dossier Meinungsbefragungen

Von Karl Weiss

Dieses Dossier wurde vom Bürger-Journalisten zum Teil erstellt auf der Grundlage eines Briefwechsels (per E-Mail) zwischen einem guten Bekannten hier in Brasilien (Deutscher in Brasilien wie der Bürger-Journalist) mit seinem Freund in Deutschland, der Psychologe ist und bei einem der Meinungsbefragungs-Institute arbeitet. Die Namen werden nicht veröffentlicht, weil jener Psychologe nicht will, dass sein Arbeitgeber erfährt, er hat „Internas“ ausgeplaudert.

Regierungsbank

Fast im Wochenrhythmus erscheint in allen Medien die neueste Meinungsumfrage über die Politiker und Parteien, welche die Deutschen angeblich bevorzugen. Da heißt es dann, die CDU/CSU habe einen Prozentpunkt zugelegt, ebenso wie die FDP und beide hätten über 50% und ähnliches. Das sind alles absurde Lügen! Die Wahrheit ist, es handelt sich bei diesen Ergebnissen von Befragungen um getürkte Resultate, die keinerlei minimalem Anspruch an wissenschaftliche Arbeit genügen und nur zur Manipulierung der Öffentlichkeit dienen.

Dazu sind die Interpretationen der vorgelegten Zahlen noch falsch. Nach der größten Lüge, den monatlichen Arbeitslosenzahlen aus Nürnberg, ist dies die zweite riesige Lüge, mit der versucht wird, die Deutschen übers Ohr zu hauen.

Bereits bei den Bundestagswahlen 2005 erwiesen sich die Vorhersagen aller Meinungsbefragungs-Institute als völlig falsch. Sie hatten übereinstimmend einen klaren Sieg (mit mindestens vier Prozentpunkten Abstand) des schwarz-gelben Gespanns von CDU/CSU mit der FDP vorhergesagt. Das war der Hintergrund des absurden Auftretens von Schröder an jenem Wahlabend, an das sich die meisten noch erinnern. Ein Stück absurdes Theater vom Feinsten! Er trat als Wahlsieger auf mit allem Brimborium und war doch in Wirklichkeit der Verlierer, wenn auch nicht so vernichtend wie vorhergesagt.

SPD Oktober 2007

Alle Meinungsbefragungs-Institute hatten das Wahlergebnis in der Größenordnung von 5 bis 6 Prozentpunkten falsch vorhergesagt, und zwar übereinstimmend zu hoch für die Christlichen und zu niedrig für die Sozis. Es reichte deutlich nicht für Schwarz-Gelb.

Bis heute haben die Institute keine vernünftige Erklärung für diese Falsch-Information abgegeben. Man erklärte lediglich, es hätte einen Meinungsumschwung in der letzten Woche vor den Wahlen gegeben, den sie nicht mehr ermitteln konnten. Das ist Quatsch. Fünf bis sechs Prozentpunkte sind Millionen von Menschen! Es gab in jener Woche keinerlei Ereignis, das einen so riesigen Meinungsumschwung verursacht haben könnte.

Die Tatsache ist, die von den Instituten verwendeten Methoden der Befragung und Auswertung können überhaupt keine zuverlässigen Ergebnisse haben, weil die Zeiten heute nicht mehr so statisch sind in den politischen Meinungen wie das für Jahrzehnte in Deutschland galt.

Meseberg-Tagung Bundesregierung

In den Fünfziger-, Sechziger-Jahren und zum großen Teil auch noch den Siebziger- und Achtziger-Jahren waren die politischen Meinungen und Vorlieben der Deutschen relativ statisch und es gab maximal ein oder zwei Prozentpunkte von Veränderungen im Zeitraum von Jahren. So konnten die Umfragen fast gar nicht falsch liegen, da sie ja Ergebnisse mit einer Genauigkeit von Plus-Minus 3 %-Punkte darstellen. Zwar mischte das Auftreten der Grünen als vierte Partei ein wenig die Parteienlandschaft auf, aber das normalisierte sich schnell, als die Grünen zur etablierten Klientel-Partei wurden.

Die Medien gaben sich aber mit der Erklärung der Institute für den Fehler bei der Bundestagswahl zufrieden und geben weiterhin vor, den Ergebnissen der Umfragen zu glauben. Sie veröffentlichen sie, so als ob es jene massive Abweichungen nie gegeben hätte.

Ein vergleichbarer, wenn auch nicht so massiver Fehler trat auch bei den Europa-Wahlen diese Jahr auf. Noch eine Woche zuvor hatten die betreffenden Institute eine klare Mehrheit für Schwarz-Gelb gefunden (so wie vor den letzten Bundestags-Wahlen und nun aktuell auch wieder). Die Europa-Wahlergebnisse zeichneten sich aber eben gerade dadurch aus, dass es keine Mehrheit für Schwarz-Gelb gab. Auch das Wahlergebnis für die Linke wurde deutlich höher vorhergesagt als es dann wirklich bei den Wahlen war.

Westerwelle

Auch bei den Landtagswalen Ende August waren die Vorhersagen so, dass es fast überall für Schwarz-gelb gereicht hätte. Tatsache ist, weder im Saarland noch in Thüringen kann die CDU mit den Liberalen eine Regierung bilden. Eine schwarz-gelbe Regierung gibt es in ganz Deutschland nur in extremen schwarzen Hochburgen wie Bayern und Sachsen und im Sonderfall Nordrhein-Westfalen.

Wiederum: Es gibt keine Erklärungen der Institute für diese Abweichungen und die Medien fragen auch nicht nach, stellen nicht in Frage. Wiederum werden unkommentiert die letzten Ergebnisse veröffentlicht, so als ob es da nie massive Differenzen gegeben hätte.

Pfau

Die Wahrheit ist: Die Institute verwenden Methoden für ihre Befragungen und die Auswertungen, die nicht den Anforderungen der Wissenschaftlichkeit entsprechend den Regeln der Repräsentativ-Befragungen genügen. Sie tun dies, weil sie untereinander in Konkurrenz stehen und korrekte Befragungen extrem aufwendig und teuer sind. So hat man „vereinfachte Befragungen“ erfunden, die von Schein-Wissenschaftlern den Segen der „Wissenschaftlichkeit“ bekamen, aber in Wirklichkeit keine wirkliche Repräsentativität garantieren.

Schröder

Nur einige wenige der nicht erfüllten Punkte:

1. Für wirklich repräsentative Befragungen muss man sich eine feste Klientel halten, also Leute, die einen kleinen Zusatzverdienst erhalten und dafür bei jeder Gelegenheit die Fragen beantworten. Diese Personen müssen nach speziellen Kriterien ausgesucht sein. Das würde pro Institut zwischen tausend und dreitausend Personen umfassen und die Befragungen immens verteuern. Soweit man eine solche Klientel hat, ist sie viel zu klein.

2. Man muss die Befragung von Personen außerhalb dieser Klientel sorgfältig planen und gezielt Personen unterschiedlichsten Typus ansprechen, wenn man den Anforderungen der Wissenschaftlichkeit genügen will. Das schließt aus, sich einfach auf die Straße zu stellen und Leute anzusprechen. Das schließt ebenfalls und vor allem Telefonbefragungen aus. Es ist klar: Es handelt sich bei Personen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer bestimmten Stelle auf der Straße sind, um eine kleine Auswahl aus der breiten Vielfältigkeit der Bevölkerung. Das gleiche gilt für jene Personen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt zu Hause sind und ans Telefon gehen. Das kann auch nicht dadurch gelöst werden, dass am Telefon nach der Person gefragt wird, auf die das Telefon zugelassen ist, weil man dann eine extrem männliche Auswahl trifft.

3. Dies, nämlich mehr befragte Männer als Frauen, kann man mit Faktoren versuchen zu neutralisieren, so wie auch andere Einseitigkeiten bei der befragten Auswahl von Menschen. Diese Faktoren beruhen auf jahrelangen Beobachtungen, so z.B. dass Ältere konservativer wählen als Jüngere, das Landbevölkerung ebenfalls zu den Konservativen neigt, dass Akademiker zu Grünen und FDP neigen, dass Frauen eher zu den Sozialdemokraten neigen als Männer usw. Doch diese Faktoren sind durch die tiefe Aufgewühltheit vieler der heutigen Menschen in Deutschland nicht mehr zuverlässig und führen eher zu Fehlern als dass sie korrigieren.

Reichstag - Bundestag

Was ist passiert in Deutschland? Ein wesentlicher Teil der Deutschen hat begonnen, die Politik und die Politiker zu verachten und neigt dazu, entweder gar nicht mehr wählen zu gehen oder gezielt Protest-Stimmen abzugeben. Es gibt einen generellen Linkstrend im Bewusstsein der Deutschen. Das kommt zum einen in der ständig wachsenden Zahl der Nicht-Wähler zum Ausdruck, zum anderen darin, dass sich links der Sozialdemokraten eine Partei im Bundestag etablieren konnte und schließlich auch darin, dass diese Tendenz zum Protest den Rechtsradikalen (bisher) so gut wie keine zusätzlichen Wähler in die Arme getrieben hat.

Dieser Trend zieht sich durch die ganze Bevölkerung, aber eben nicht gleichmäßig und zum Teil zeitversetzt bei verschiedenen Gruppen der Bevölkerung. Damit sind all die schönen Hilfsmittel, die den Demoskopen an die Hand gegeben wurden, zum Teil unbrauchbar geworden, ohne dass der Demoskop eigentlich weiß, welche davon und in welchem Masse und bezogen auf welche Gruppen der Bevölkerung. So konnte man z.B. in letzter Zeit beobachten, dass bestimmte ländliche Regionen sich deutlich von der generellen Tendenz der konservativen Landbevölkerung abgetrennt haben.

Dazu kommt ein anderer Effekt: Das Mittel von Befragungen, Umfragen usw. wird in ausgedehnter Weise von verschiedenen Unternehmen zu allen möglichen Zwecken abgewandt, wobei die absolute Geheimhaltung der erfassten Daten nicht immer garantiert ist. Das hat dazu geführt, dass mehr und mehr Menschen in Deutschland ablehnen, sich befragen zu lassen. Dadurch wird es für die Institute immer schwieriger, mit der einmal erfolgten Auswahl eine repräsentativen Schnitt durch die Bevölkerung zu erreichen. Wer ablehnt, befragt zu werden, ist ja nicht klar einzuschätzen. Man kann nicht einfach sagen, das ist ein typischer Wähler der Linken oder etwas ähnliches. Man muss dann wieder und wieder versuchen, auf einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung zu kommen. Auch das verteuert die Befragungen. Es gibt Rezepte, damit umzugehen, ohne wieder und wieder neue Gruppen von Menschen zu befragen. Diese Rezepte sind aber ein neuer Quell von Unsicherheiten.

Bundestag - Reichstag

Um einmal einen Eindruck zu bekommen, wie das konkret aussieht, hier ein erfundenes Ergebnis einer Umfrage der „Sonntagsfrage“ („Wen würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahlen wären?“), das aber nicht weit von der Realität liegt:

Sagen wir, es wären zufällig genau 1000 Menschen befragt worden und nehmen wir an, die Auswahl dieser Personen wurde mit außergewöhnlicher Sorgfalt vorgenommen (außergewöhnlich will sagen, in Wirklichkeit wird dies nicht so sorgfältig von den Instituten gemacht). Nun hätten wir folgendes Ergebnis:

Bundesregierung 3

106 der Befragten weigerten sich, an der Befragung teilzunehmen (10,6%)

184 der Befragten erklärten, sie hätten sich noch nicht entschieden, ob sie zur Wahl gehen bzw. welche Partei sie wählen (18,4%)

193 der Befragten erklärten, sie würden nicht zur Wahl gehen bzw. ungültig wählen (19,3%)

192 der Befragten erklärten, sie würden CDU bzw. CSU wählen (19,2%)

136 der Befragten erklärten, sie würden SPD wählen (13,6%)

51 der Befragen erklärten, sie würden FDP wählen (5,1%)

40 der Befragten erklärten, sie würden Grüne wählen (4,0%)

31 der Befragten erklärten, sie würden die Linke wählen (3,1%)

4 der Befragten erklärten, sie würden die NPD oder eine andere rechtsextremistische Partei wählen (0,4%)

16 der Befragten erklärten, sie würden Piratenpartei wählen (1,6%)

47 der Befragten erklärten, sie würden eine andere der kleinen Parteien wählen (4,7%)

Was tut nun der Demoskop typischerweise? Er eliminiert zunächst einmal die Verweigerer, so als ob es sie nie gegeben hätte, obwohl später in der Auswertung stehen wird, man habe 1000 Personen befragt. Das ist schon die erste Lüge. Und das kann auch schon deutliche Abweichungen von der Wirklichkeit verursachen, weil man ja nicht weiß, was diese Verweigerer am Wahltag tun werden. Daraus ergeben sich dann folgende Prozentzahlen:

Unentschieden: 20,6%

Nichtwähler: 21,6%

CDU/CSU: 21,5%

SPD: 15,2%

FDP: 5,7%

Grüne: 4,5%

Linke: 3,5%

NPD: 0,4%

Piraten: 1,8%

Sonstige: 5,2%

Dann kommt der nächste Schritt: Die Unentschiedenen werden etwa im gleichen Verhältnis auf alle Gruppen verteilt, wie es deren Prozentzahl ausmacht. Das ergibt:

Nichtwähler 193+47= 240 (26,8%)

CDU/CSU: 192+46=238 (26,6%)

SPD: 136+34=170 (19,0%)

FDP: 51 + 15= 66 ( 7,4%)

Grüne: 40 + 13= 53 ( 5,9%)

Linke: 31 + 9 = 40 ( 4,5%)

NPD: 4 + 1 = 5 ( 0,6%)

Piraten: 16 + 6 = 22 ( 2,5%)

Sonstige: 47 + 13=60 (6,7%)

Neues Gesamt: 894

Nun kommt der nächste Schritt der „Auswertung“: Der Demoskop zieht einfach einmal die Nichtwähler aus dem Ergebnis heraus und errechnet die sich dann ergebenden Prozentzahlen (weil ja das Wahlergebnis sich immer auf angegebene Stimmen bezieht, nicht auf Wahlberechtigte), das ergibt dann:

Neues Gesamt: 654

CDU/CSU: 36,4%

SPD: 26,0%

FDP: 10,1%

Grüne: 8,1%

Linke: 6,1%

NPD: 0,8%

Piraten: 3,4%

Sonstige: 9,2%

Nun ist aber der Prozess der „Auswertung“ noch nicht abgeschlossen. Jetzt müssen vielmehr die oben schon erwähnten Faktoren angewandt werden, weil man nicht genau einen Durchschnitt der Bevölkerung befragt hat. Danach sieht es dann im angenommenen Fall so aus:

CDU/CSU: 37,2%

SPD: 27,0%

FDP: 12,2%

Grüne: 10,1%

Linke: 7,1%

NPD: 1,4%

Piraten: 2,0%

Sonstige: 8,5%

Und nun wird das gemacht, was auch beim Wahlergebnis herauskommt: Die 5%-Klausel wird angelegt. Das heißt, NPD, Piraten und Sonstige kommen nicht ins Parlament, also müssen die Prozentergebnisse auf die anderen umgelenkt werden. Dies ist selbstverständlich eine durch Nichts zu rechtfertigende Prozedur, aber man macht das eben so. Außerdem muss man dies tun, weil durch die Faktoren die Summe der Prozente die Hundert überschritten hatten.

Danach sieht es dann so aus:

CDU/CSU: 39,7%

SPD: 28,8%

FDP: 13,0%

Grüne: 10,8%

Linke: 7,6%

Nun hat man, was man wollte: Schwarz-Gelb kommt deutlich über 50%. Rot-Rot-Grün kommt auf keine Mehrheit. Eine Ampel wäre möglich, aber warum sollte man eine Ampel machen, wenn doch Schwarz-Gelb geht.

Es sei noch einmal erwähnt, dies ist ein hypothetisches Umfrageergebnis, das konstruiert wurde, um das Prinzip zu zeigen.

Wie Sie leicht überprüfen können, war am Anfang die Summe der Prozente der CDU/CSU und der FDP bei weitem nicht bei 50%. Die Schwierigkeiten entstehen eben genau dann, wenn die Institute nicht das wirkliche Ergebnis der Umfragen bekanntgeben, sondern es „aufbereiten“.

Dabei wird der Prozess der Aufbereitung aber nicht deutlich gemacht, sondern es wird so getan, als würden tatsächlich 39,7% der wahlberechtigten Bürger CDU/CSU gut finden und 13 Prozent die FDP. Wenn Sie oben nachsehen, werden Sie feststellen, es waren in der Umfrage selbst nur 19,2 % bzw. 5,1%. Diese „wunderbare Prozentvermehrung“ ist die eigentliche Zentral-Lüge dieser Demoskopie.

Das Gleiche erleben wir ja am Wahlabend, wenn die Ergebnisse erscheinen: Die Prozent von Wahlberechtigten und die absoluten Zahlen werden unterdrückt. Stattdessen dreht sich alles um die relativen Prozente der abgegebenen gültigen Stimmen abzüglich derjenigen, die nicht ins Parlament kommen. Auf diese Art und Weise versuchen Politik, Demoskopen und Medien gemeinsam, uns vorzugaukeln, es gäbe eine riesengroße Zahl von Bundesbürgern, die alle diese Politik für richtig halten und diese Politiker für vertrauenswürdig.

Zu all dem kommt noch, die Zahlen von demoskopischen Umfrage-Ergebnissen dieser Art sind mit einer Genauigkeit von Plus-Minus 3% ermittelt. Dies ist in jeder Pressemitteilung unten im Kleingedruckten ausgeführt. Aber die Medien interpretieren die Ergebnisse, als ob sie ganz genau wären (auch wenn man den großen Lapsus doch gesehen hat). So schreibt man z.B. bei einer Erhöhung um 1% gegenüber der vorherigen Ergebnis, diejenige Partei hätte zugelegt. In Wirklichkeit ist eine Variation von 1% innerhalb der Schwankungsbreite und kann allein auf die Methode zurückzuführen sein. Es gibt also keinerlei „zugelegt“. Erst wenn mehr als 3% zusätzlich oder weniger gemessen wird, kann man davon sprechen, eine Partei habe zugelegt oder in der Wählergunst abgenommen.


Veröffentlicht am 4. September 2009 in der Berliner Umschau

Mittwoch, 2. September 2009

Der Linkstrend setzt sich fort

Landtagswahlen

Von Karl Weiss

Wie üblich, werden die Wahlergebnisse der drei Landtagswahlen im Saarland, in Sachsen und in Thüringen und der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen praktisch ausschließlich in Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen angegeben. Dadurch werden die wirklichen Ergebnisse mehr verdeckt als geklärt.

Die kapitalistischen Einheits-Medien tönen praktisch unisono: Einbruch nur der CDU; SPD geht nun mit grosser Zuversicht in die Bundestagswahlen; ein Trend zu den kleinen Parteien.

Das ist genau nicht das Ergebnis. Zieht man die absoluten Stimmenzahlen und die Wahlbeteiligung mit in die Auswertung, kommt man zu einer anderen Auswertung: In der Deutschen Bevölkerung gibt es einen generellen Linkstrend. Wie kommt man zu dieser Erkenntnis?

1. Die wichtigsten Resultate der letzten Landtagswahlen und auch der jetzigen zeigen klar: Die Deutschen sehen jene Politiker mehr und mehr mit Abscheu und trauen keinem von ihnen mehr. Nur so lässt sich erklären, dass trotz der intensiven Aufrufe, zur Wahl zu gehen, sonst habe man kein Recht, in der Politik mitzureden, die Wahlbeteiligungen ständig weiter fallen. In Thüringen mit 55,5% Beteiligung und in Sachsen mit 51,9% wurden neue Rekorde in niedriger Wahlbeteiligung bei diesen Landtagswahlen aufgestellt.

2. Die beiden früheren „Volksparteien“ – beide können inzwischen als Rechtsparteien angesehen werden - verlieren praktisch ohne Unterlass Wähler, mal schneller, mal weniger schnell, mal mehr bei der SPD, mal mehr bei der CDU. Dieser Trend fand bereits vor der Grossen Koalition statt und hat sich während dieser letzten Legislaturperiode im allgemeinen sogar noch beschleunigt. Man kann mit Sicherheit vorhersagen: Beide werden bei den Bundestagswahlen neue Minus-Rekorde in der Zahl ihrer Wähler bei Bundestagswahlen seit Jahrzehnten aufstellen.

3. Die CDU/CSU: Ihr werden in den Umfragen ständig um die 38 bis 40% der abgegebenen Stimmen zugestanden, doch dies dient nur dem Täuschen der Bundesbürger. In Thüringen mit 31,2% und im Saarland mit 34,5% kam die CDU zu Einbrüchen, die geradezu geschichtlich sind. Das sind beides Bundesländer, in denen vor wenigen Jahren noch eine absolute CDU-Mehrheit herrschte! Sachsen dagegen gilt (neben Bayern) noch gewissermassen als Stammland der CDU bzw. CSU. Auch hier: Noch vor kurzem auf stolzen Rossen mit absoluter Mehrheit. Insofern sind auch die 40,2% der CDU in Sachsen nichts weiter als einen neuer gewaltiger Einbruch, denn die Wahlbeteiligung in Sachsen ist nun fast genau bei der Hälfte der Wahlberechtigten angelangt. Heute gibt es kein Bundesland mit absoluter CDU- oder CSU-Mehrheit mehr! Die Vorstellung, die CDU/CSU könnte bei den Bundestagswahlen in die Nähe der 40% kommen, ist abenteuerlich!

4. Die SPD: Sie wird von der Mehrheit der Deutschen auch bereits als rechte Partei wahrgenommen und die Wähler laufen ihr ebenfalls in Scharen davon. In Sachsen ist sie sowieso bereits im 10%-Ghetto, auch hier: Deutliche Verluste an Wählern, auch wenn die relative Prozentzahl gleichblieb. In Thüringen verlor sie nicht Wähler, weil sie bereits vor vier Jahren einen Einbruch erlebte. Der geringe Gewinn in Prozenten spiegelt aber keinen Zuwachs von Wählern wieder, weil die Wahlbeteiligung auch hier fiel. Im Saarland, wo zum ersten Mal nach der Vereinigung von Lafontaine mit der WASG und der PDS Landtagswahlen stattfanden, gab es als Sonderbewegung gegen den allgemeinen Trend eine deutlich höhere Wahlbeteiligung als 4 Jahre zuvor (etwa plus 13%). Doch das ist fast allein auf den Effekt Lafontaine zurückzuführen und so kamen denn die zusätzlichen Stimmen fast alle der Linken zu gute, die dort ihr höchstes Ergebnis in einem westdeutschen Bundesland einfahren konnte: Über 20% der abgegebenen Stimmen. Auch hier erneute Stimmen-Verluste für CDU und SPD. Der Linkstrend kommt klar zum Ausdruck.

5. Die „kleineren Parteien“. Angeblich gäbe es einen Trend zu FDP und Grünen, zum Teil auch zur Linken. Das ist eine falsche Interpretation. Grüne und FDP sind nun bereits eine gute Zeit in der Opposition, die FDP schon über 10 Jahre. Da kann man sich leichter als Alternative darstellen, weil man nicht für die Politik verantwortlich gemacht werden kann. Sobald einer der beiden (oder beide) in die Regierung eintreten, werden sie alle diese Neu-Wähler wieder verlieren, denn man wird sehen, sie sind keine Alternativen. Beide werden in diesem Fall erneut Schwierigkeiten haben, überall in die Landtage einzuziehen. Die Linke dagegen ist ein anderer Fall. Sie profitiert von dem Linkstrend der Deutschen. Sie kann bis zu einem bestimmten Grad wirklich als Alternative wahrgenommen werden und hat denn auch im Saarland einen echten Sieg errungen. In Thüringen aber stagniert sie schon, wenn auch auf hohem Niveau (27,4%). In Sachsen allerdings, wo sie nach der CDU schon die zweitstärkste Kraft war – und auch blieb – verlor sie massiv Wähler, was durch den Prozentverlust ( - 3,3%) nur unzureichend wiedergegeben wird. Dort hatten die Wähler Anschaungsunterricht in „Linke“, als der Privatisierung von städtischen Wohnungen zugestimmt wurde.

6. Der wichtigste Beleg für den Linkstrend in der Deutschen Bevölkerung ist aber das Abschneiden der Rechtsextremisten und Faschisten. Gerade Thüringen und Sachsen waren zwei der wichtigsten Hochburgen. In beiden Ländern verloren sie aber Stimmen und Prozente, in Thüringen blieben sie außerhalb des Parlaments. Das belegt in phantastischer Weise: Die Deutschen haben ihre Lektion gelernt. In der tiefsten Wirtschaftskrise seit derjenigen, die Hitler nach oben spülte, gibt es nicht die geringste Tendenz zu den Faschisten! Das ist in Europa einmalig! Der deutsche Michel belegt eine tiefe und generelle politische Aufgeklärtheit, die jedem denkenden Menschen das Herz höher schlagen lässt. Sieht man zum Beispiel in unsere Nachbarländer Frankreich, Dänemark oder Österreich, so wird deutlich, wie aufgeklärt der deutsche Wähler ist.

Nun mag jemand einwenden, die ständig sinkenden Wahlbeteiligungen seien nicht auf einen Linkstrend oder eine politische Aufgeklärtheit zurückzuführen, sondern auf eine allgemeine Politikverdrossenheit, wie uns die kapitalistischen Einheitsmedien weismachen wollen. Aber gerade die Saarland-Wahlen haben diese These widerlegt: Wenn die Wähler etwas sehen, was sie als linke Alternative ansehen können, gehen sie wieder zur Wahl und wählen diese Alternative. Sie sind also auf der Suche nach einer wirklichen Alternative – und zwar links. Das hat nichts mit Politikverdrossenheit zu tun, sondern ist eine immens politische Bewegung.

Veröffentlicht am 2. September 2009 in der Berliner Umschau

Samstag, 29. August 2009

Doch die Verhältnisse - ...

...die sind nicht so!

Von Karl Weiss

Der eilig vor den Wahlen herbeigerufene „Aufschwung“ (Guttenberg, CSU) wird nicht stattfinden. Die positiven „Stimmungs-Zahlen“ sind nicht in wirkliche Einkäufe umgeschlagen. Der Massenkonsum in Deutschland geht deutlich zurück. Warum wohl?

Die Financial Times Deutschland (FTD) hat sich in den letzten zwei Wochen extrem aus dem Fenster gelehnt mit ihren Vorhersagen: „Rezession ist beendet“, „Die Indikatoren im Positiven“, „GfK: Excellentes Konsumklima“, „Ifo signalisiert Ende der Misere“ und „Konsumklima hellt sich auf“. Was davon übrig blieb, zeigte sich am 26.8.09, als die Zahlen des Umsatzes des Einzelhandels im ersten Halbjahr veröffentlicht wurden:

Über 2% Umsatzrückgang über das ganze Halbjahr, das ist seit vielen Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen. Der Juni, der eigentlich alles heraureissen sollte mit einem deutlichem Plus, ergab stattdessen einen hohen Rückgang: 1,6% in einem einzigen Monat! Real, also den Preisrückgang mit eingerechnet, wurden es sogar 1,8%.

Für das ganze erste Halbjahr waren es im Vergleich zum Vorjahr 2,3 % und real 2,1%. Diese letztere Zahl (real) ist ein Rekord.

Vielleicht mag einer meinen, na, ein bisschen mehr als 2% Rückgang, das ist ja noch mässig im Vergleich zum Rückgang des Industrieumsatzes oder zum massiven Exportrückgang von über 30%. Aber die Zahlen des Massenkonsums können natürlich nicht mit solchen Raten einbrechen wie die Verkäufe der Industrie oder der Auslandsabsatz. Ein wesentlicher Teil des Konsums besteht aus Grundnahrungsmitteln und anderen Waren, bei denen der Konsument nicht so einfach einsparen kann.

Wer sparen muss, weil einer in der Familie keinen Arbeitsplatz mehr hat oder weil der einzige Verdiener auf Arbeitslosengeld steht, der beginnt zuerst an teuren Auslandsreisen, teuren Autos, an aufschiebbaren Reparaturen, an Essen ausser Haus und Theater- und Kinobesuchen zu sparen, der bestellt das Kabelfernsehen ab oder begrenzt die Zahl der Handys in der Familie – alles Dinge, die sich nicht im Einzelhandelsumsatz ausdrücken. Wer in Hartz IV fällt, muss sich natürlich weit über das hinaus einschränken, aber das ist gerade nicht das Thema.

Darum sind die Veränderungen im (preisbereinigten) Einzelhandelsumsatz auch generell sehr gering. Ein Auf oder Ab von 0,5% bedeutet bereits gewaltige Veränderungen, zumal dies auch eine der grössten Zahlen im Wirtschaftsgeschehen eines Landes ist. Über 2% minus im Jahresvergleich (oder ein Einbruch wie im Juni von 1,6% in einem Monat) stellen hier Welten dar.

Und das ist noch keineswegs die schlechteste Nachricht. Das ist vielmehr jene, die von der FTD so ausgedrückt wird: „Das war erst der Anfang“. Sie zitiert einen Experten: „Mittelfristig dürfte der Einzelhandel noch stärker belastet werden, wenn Kurzarbeit in Stellenabbau umgewandelt wird. Dann bleibt vielen Beschäftigten weniger in den Taschen."

Ganz offen werden jetzt schon überall Massenentlassungen nach den Wahlen angekündigt.

Werden wir uns das gefallen lassen? Wennn man seinen Arbeitsplatz verlieren soll, dann können die Kapitalisten mit nichts mehr drohen. Dann muss gestreikt werden!

Veröffentlicht am 28. August 2009 in der Berliner Umschau

Mittwoch, 26. August 2009

Die verlogenste amtliche deutsche Statistik

"Arbeitslose? - Gibts fast nicht!"

Von Karl Weiss

Was die Bundesregierung da über ihre "Bundesagentur" in Nürnberg monatlich an Zahlen veröffentlicht, hat inzwischen nicht einmal mehr eine entfernte Ähnlichkeit mit der tatsächlichen Lage am Arbeitsmarkt. Man kann davon ausgehen: Die tatsächlichen Zahlen der Arbeitslosigkeit liegen im Bereich des Doppelten der dort angegebenen Zahlen. Die "Erfolgsmeldungen", die Arbeitslosigkeit sei sogar geringfügig zurückgegangen, wenn man die saisonalen Schwankungen einbezieht, sind wild an den Haaren herbeigezogene Berechnungstricks.


Unter https://www.jjahnke.net/arbeitjul09.html hat sich der Ex-Bankier Joachim Jahnke in seinem Informationsportal www.jjahnke.net/ der Mühe unterzogen, die Arbeitslosendaten vom Juli 2009 unter die Lupe zu nehmen und zu zerpflücken.

Er belegt dort u.a.: "Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit lassen (...) eine Beurteilung der Entwicklung kaum noch zu, weil immer neue Veränderungen und Manipulationen in der statistischen Basis erfolgt sind." und kommt zum Schluss: "Diese „Statistik" ist inzwischen die bei Weitem verlogenste, die amtlich in Deutschland erstellt wird."

Die letzten drei grundlegenden Veränderungen in der Erfassung sind diese:

1. Seit 2007 werden die über 58-jährigen, auch wenn sie noch Arbeit suchen, aus den Zahlen herausgenommen (außer in bestimmten Fällen). Das heißt im zukünftigen Zustand der Rente ab 67, dass 9 (neun!) Jahrgänge zum großen Teil aus der Arbeitslosenzahlen einfach herausgenommen wurden. Auch jetzt sind es bereits sieben Jahrgänge. Kein Wunder, dass die "gefühlte Arbeitslosenzahl" und die veröffentlichte seit diesem Zeitpunkt begannen, immer weiter auseinander zu klaffen.

2. Seit diesem Jahr hat man eine noch infamere Streichung vorgenommen: Es werden einfach alle Arbeitslosen, die von der Bundesagentur an private "Arbeitsvermittler" abgegeben wurden, nicht mehr als Arbeitslose gezählt. Wie jeder weiß, vermitteln diese privaten "Vermittlungsagenturen" keine Sau. Sie laden lediglich zu Vorträgen ein, auf denen Banalitäten plattgetreten werden und eventuell einmal zu einem Kurs von 2 Stunden, wie man Bewerbungen und Lebensläufe schreibt. So als ob Stellen unbesetzt blieben, weil die Bewerbungen oder Lebensläufe schlecht geschrieben waren. Nach diesem Schema könnte die Bundesregierung die Arbeitslosenzahlen leicht auf Null bringen, in dem man einfach alle Arbeitslosen an private „Bildungsträger“ verweist.

3. Seit diesem Juli hat man nun noch eine andere Variante gefunden, wie man Arbeitslose verstecken kann: Die "Unterbeschäftigung". Dazu gehören zunächst einmal jene bei den privaten Arbeitsvermittlern und außerdem alle, die "Beschäftigungsgesellschaften" sitzen, dann Altersteilzeit, wer Zuschüsse für die Gründung von Kleinstunternehmen bekommen hat und noch eine große Anzahl anderer Arbeitsloser, wie jene in Altersteilzeit usw.

Insgesamt führt dies dazu, dass nur noch 56,7 % derer, die irgendeine Art der Unterstützung für Arbeitslose bekommen, in der amtlichen Statistik als arbeitslos geführt sind!

Kurz: Die Arbeitslosenzahlen werden fast genau halbiert!

Wenn Bundesarbeitsminister Scholz von „einer kleinen Sensation“ spricht und die Juli-Daten der Arbeitslosigkeit als überraschend niedrig bezeichnet, so feiert er damit nur die von ihm zu verantwortenden Beschönigungen.

Tatsächlich ist der Einbruch am Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik nicht dem Desaster zu vergleichen, dass in den USA bereits eingetreten ist, aber das ist fast ausschließlich dem in Deutschland extrem genutzten Mittel der Kurzarbeit zu verdanken. Nach allem, was man heute weiß, wird aber nach Auslaufen der Kurzarbeit (und damit nach den Wahlen) ein wesentlicher Teil derjenigen, die nun in Kurzarbeit sind, von Entlassung bedroht sein. Dann wird das Desaster auch in Deutschland angekommen sein.

Veröffentlicht am 25. August 2009 in der Berliner Umschau

Mittwoch, 10. Juni 2009

Die Multiwahlen haben eindeutige Ergebnisse

Die traditionellen „Volksparteien“ haben ausgespielt

Von Karl Weiss

Wahlsonntag bzw. Wahlwoche: Ganz Europa wählte das Scheinparlament in Strassburg, dazu kamen in Deutschland Kommunalwahlen in verschiedenen Bundesländern, die zum Teil bis jetzt noch nicht ganz ausgezählt sind.

Meseberg-Tagung Bundesregierung

Was sind die hauptsächlichen Ergebnisse?
  • 1. Die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen ist in Deutschland noch weiter zurückgegangen. Das ist die klare Antwort des Wählers auf die neue Europa-Verfassung, die nun in neuer Form wieder auf die Tagesordnung zurück gebracht wurde, obwohl sie schon eindeutig abgelehnt war, soweit man darüber entscheiden konnte. Ebenso ist dies die Antwort auf die Kungeleien in der EU, wo die Parlamente auf unglaubliche Weise umgangen werden und einfach Europa-Gesetze von den Regierungen über die EU-Kommission erlassen werden, an die dann die Länder gebunden sind. Ebenso merken mehr und mehr der deutschen Wähler, dass das Europaparlament gar keine gesetzgeberischen Funktionen hat, sondern nur die Gesetze der EU-Kommission annehmen oder ablehnen kann

    Nimmt man die Wahlbeteiligung in Deutschland von 43,0%, so sind die zum Teil bejubelten Ergebnisse der „großen“ Parteien die folgenden:

    CDU/CSU: Nicht 37,9%, sondern 16,3%! Phantastische Wahlsiegerin!
    SPD: Nicht 20,8%, sondern 8,9%! Ja, SPD 8,9%!
    Grüne: Nicht 12,1%, sondern 5,2%!
    FDP: Nicht 11,0%, sondern 4,7%!

    Ja, so schnell schwindet das Vertrauen der Wähler!.
Statistik Reallöhne
Einer der Gründe für den Verlust des Vertrauens in die Politiker: In Deutschland gab es im neuen Jahrtausend nur Reallohn-Abbau.
  • 2. Die Sozialdemokraten bzw. Sozialisten/Labour Party und entsprechende wurden in bisher unbekannter Weise abgewatscht – und das europaweit! Sozialdemokraten, die nun Neo-Liberalismus umsetzen, das war für die Wähler zuviel! Dabei kamen die deutschen Sozialdemokraten noch nicht einmal so schlecht weg wie jene in England, Italien oder Frankreich. Sie konnten in Prozenten sogar geringfügig zulegen, verloren allerdings weiter in absoluten Stimmenzahlen. Das kam daher, dass sie bereits bei den vorherigen Wahlen in riesigem Umfang Stimmen und Prozente verloren, das war nämlich 2004, als gerade Hartz IV verkündet worden war.
  • 3. Meinte man nun, wenn die Sozialdemokraten und vergleichbare verloren, so hätten die Konservativen/Christlichen gewinnen müssen, aber auch damit war Fehlanzeige. Sei es Berlusconi, sei es Sarkosy oder Merkel, alle verloren weiter Wählerstimmen – auch wenn das Ergebnis in Prozenten der abgegebenen Stimmen z.T. nicht so desaströs ausgesehen haben mag, wie es wirklich war. Die CDU/CSU verlor in Prozenten 6% gegen die letzten Europa-Wahlen! Generell haben die klassischen Regierungsparteien Europas, einmal Sozialdemokraten/Sozialisten, einmal Konservative/Christliche, zum Teil in Koalitionen mit kleineren Parteien, die ganze Wut des Wählers zu spüren bekommen. Keine einzige dieser traditionellen „Volksparteien“ in Europa stellt heute noch eine überragende Kraft dar. Soweit sie an der Regierung sind und bleiben, dann nur, weil die anderen noch schwächer sind.
Regierungsbank
  • 4. Davon profitierten kleinere Parteien. In Deutschland konnte die FDP sogar einen kleinen Zuwachs an Wählerstimmen verzeichnen, während die Grünen mit ihrem dritten Platz zufrieden waren. In einigen anderen europäischen Länder kamen rechte Parteien ins Parlament und solche, die mit populistischen Parolen warben. In Deutschland steckte die „Linke“ eine deutliche Schlappe ein und verfehlte ihr Ziel „10plusX“ deutlich. Es muss sich noch herausstellen, ob dies bereits der Beginn des Wiederabstiegs ist, verursacht durch das fast ausschließliche Schielen nach Pöstchen oder ob die Bedingungen der Europawahl für die „Linke“ spezifisch ungünstig waren. Zum Glück gab es in Deutschland keine faschistische oder rechtsextremistische Partei, die ihr Süppchen auf der niedrigen Wahlbeteiligung kochen konnte. Wichtig allerdings in Deutschland, dass insgesamt über 10% der abgegebenen Stimmen an „andere“ Parteien gingen, darunter die Tierschutz-Partei, die Piraten-Partei, die ÖDP und weitere.
  • 5. In Deutschland ist allerdings noch wichtig, dass die von den Demoskopen vorausgesagte Schwarz-Gelbe Mehrheit nicht erreicht wurde – und dies nicht nur bei der Europa-Wahl, sondern auch ganz deutlich als Ergebnis der Kommunalwahlen, die in mehreren Bundesländern gleichzeitig durchgeführt wurden. Die CDU musste Verluste von 6 – 10 % der abgegebenen Stimmen hinnehmen und das konnte die FDP nirgends wettmachen. Inzwischen ist es bei Kommunalwahlen in Deutschland schon üblich, dass kaum noch Beteiligungen von 50% erreicht werden. Dass die CDU nicht als klare Verliererin aus den Kommunalwahlen hervorging, lag nur daran, dass die SPD fast überall die bereits extrem niedrigen Ergebnisse vom letzten Mal wiederholte. Ein deutliches Anzeichen dessen, was da vor sich geht, die Entvölkerung der „Volksparteien“, ist das Kommunalwahlergebnis in Stuttgart, wo die Grünen fast als stärkste Fraktion hervorgegangen wären und am Ende fast gleichauf mit der CDU lagen, die Stuttgart seit Urzeiten dominiert hatte.
Deutschland: Stuttgart

Für die kommende Bundestagswahl ergibt sich aus all dem Einiges:

Während Demoskopen und Kommentare der bürgerlichen Zeitungen ständig wiederholen, es werde Schwarz-Gelb geben, haben diese Wahlen das keineswegs bestätigt. Es scheint vielmehr auf jene Patt-Situation hinauszulaufen, in der weder CDU/CSU und FDP noch SPD zusammen mit den Grünen eine ausreichende Mehrheit haben, weil auch die „Linke“ ins Parlament gekommen ist. Da aber alle geschworen haben, nicht mit der „Linken“ zu koalieren, ja, sie nicht einmal als Steigbügelhalter außerhalb einer formalen Koalition zu akzeptieren, hätten wir dann die Hessen-Situation.

Roland Koch

Dann bleibt nur die Neu-Auflage der Grossen Koalition. Die aber wird mit den letzten Wählerpotentialen der ehemaligen „Volksparteien“ aufräumen und die SPD wird in den Bereich der Grünen sinken, während die CDU/CSU in das 20%-Ghetto abstürzt. Was dann wird, da kann man nur noch spekulieren.


Veröffentlicht am 10. Juni 2009 in der Berliner Umschau


Berichtigung zum Artikel
Ich fand hier gerade die exakten Zahlen und musste feststellen, ich habe im Artikel mit der europäischen Durchschnitts-Wahlbeteiligung von 43,0 % (in anderen Quellen 43,1%) gearbeitet, mich aber auf die deutschen Ergebnisse bezogen. In Wirklichkeit war die deutsche Beteiligung nur bei 40%. D.h. die oben genannten Zahlen von Prozenten der Wahlberechtigten sind sogar noch geringer als im Artikel angegeben!
Karl Weiss

Freitag, 5. Juni 2009

Wir werden über den Löffel balbiert

Schuldenbremse? Pustekuchen!

Von Karl Weiss

Da haben die Parteien der Grossen Koalition eine Grundgesetzänderung zum Schulden-Bremsen verabschiedet, aber nun stellt sich heraus, das war alles nur aus dem Fenster hinaus gesprochen. In Wirklichkeit wird schon wieder haarsträubend viel Geld ausgegeben und die Nutznießer sind wiederum nicht die gebeutelten Bundesbürger, sondern die Banken. Das neue Banken-Unterstützungsprogramm wird völlig heimlich von der EU zusammen mit den Regierungen der EU-Länder durchgezogen.

Meseberg-Tagung Bundesregierung

Soll die Obergrenze der Schulden trotz dieses – wie auch schon der vorherigen – Programme eingehalten werden, wird man massivst Steuern erhöhen müssen.

So hat denn der Chef des DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) auch bereits eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 25 Prozent ins Gespräch gebracht. Das wäre eine Steuererhöhung, die vor allem von den wenig Verdienenden aufgebracht würde, von annähernd 40%!!!

Man hält es für selbstverständlich, dass wir über die Preise die Spitzenprofite der Banken finanzieren, damit Ackermann wieder auf 25% Rendite über Kapital kommt. Nicht umsonst wird dies Programm völlig geheim gehalten.

Hätte die FTD (Financial Times Deutschland) am Freitag nicht aufgedeckt, was da gespielt wird, wüssten wir gar nichts davon.

So werden wir über den Löffel balbiert:

Die Europäische Zentralbank EZB, bekanntlich in Frankfurt beheimatet, stellt den Banken in der Eurozone „in gigantischem Umfang billigsten Kredit zur Verfügung“ (Originalton Jahnke, ehemaliger stellvertretender Chef der Europäischen Bank für Kredit und Entwicklung, hier: https://www.jjahnke.net/rundbr56.html#plea

), nämlich zu 1% Zinsen jährlich.

Uns wird dann vorgeschwindelt, dafür würden die Banken billige Kredite geben, um die Wirtschaftstätigkeit wieder anzukurbeln. In Wirklichkeit denken die Banken natürlich nicht daran, deshalb nun riskantere Kredite oder solche zu geringeren Zinsen zu geben als vorher. Stattdessen kaufen sie Regierungsbonds zu 4% Zins dafür und können so enorme Gewinne machen und ihre Bilanzen aufbessern.

Der Trick besteht darin, dass die EZB genau diese Regierungsbonds als Sicherheiten für die Kredite zu 1% annimmt und damit das kostbare Eigenkapital der Banken nicht angetastet werden muss.

Auf Deutsch übersetzt heißt das: Man gibt Riesensummen praktisch umsonst an die Banken und nimmt das, was die Banken damit kaufen (und weiterhin ihnen gehört), als Sicherheiten für diese Summen. Das ist das Geschäft des Jahrhunderts!

So, und jetzt kommt der wesentlichste Teil: Der Umfang, in dem mit solchem Geld Regierungsbonds gekauft wurden, beträgt 250 Mrd. Dollar!

Das ist also nicht nur das beste, nein, auch eines der größten Geschäfte des Jahrhunderts.

Und wer wird die 3% Zinsschnitt über 250 Mrd. , also 7,5 Mrd. Dollar bezahlen?

Sie natürlich! Haben Sie nicht gelesen? Mehrwertsteuer auf 25%!

Haben Sie immer noch vor, eine der westdeutschen Blockflötenparteien CDU/CSU, SPD, FDP oder Grüne zu wählen?

Na, sehen Sie!


Veröffentlicht am 4. Juni 2009 in der Berliner Umschau

Dienstag, 26. Mai 2009

Deutsche Unternehmenskultur

“Shareholder-Value” statt Kultur

Von Karl Weiss

Das letzte “Highlight”zum Thema Deutsche Unternehmenskultur wurde soeben über die Deutsche Telekom bekannt (Meldung des Handelsblatt von Ende letzter Woche): Man hatte Detektive auf Bereichsleiter angesetzt, um deren Privatleben zu erforschen.

Über eine davon bei der kroatischen Tochter wurde berichtet, sie sei „im Bett wie eine Tigerin“. „Insider“ versuchten laut jener Meldung ein solches Vorgehen sogar noch zu rechtfertigen. Das ist deutsche Unternehmenskultur 2009. Demnächst werden sie beginnen, unsere Pubse zu zählen. Weltmeister in Unternehmenskultur ist aber zweifellos die Bahn.

Es ist kein Zufall, dass die Telekom als ehemaliges Staatsunternehmen und die Bahn als Noch-Staatsunternehmen bei der Schnüffelei und Bespitzelung besonders glänzen.

In beiden Fällen handelte es sich um Staatskonzerne mit einer Kultur, die auf Dienst am Kunden abgestellt, aber gleichzeitig für die Beschäftigten mit einem Beamtenstatus oder einem vergleichbar komfortablen Beschäftigungsverhältnis verbunden war.

So war bei beiden eine Modernisierung überfällig. Aber statt sie zu modernisierten und klug durchrationalisierten Dienstleistungskonzernen zu machen, wurden sie auf „Sharholder-Value“ getrimmt. Fast die ganze Umstrukturierung ging auf Kosten der Beschäftigten und der Kunden, während für die neuen (bzw. zukünftigen) Aktionäre Feststimmung aufkam.

Die Bahn ist für einen wesentlichen Teil des Beschäftigungsabbaus in Deutschland in den vergangenen Jahren verantwortlich (mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze). Die Verschlechterung ihrer Instandhaltung ist bereits Industrielegende. Gleichzeitig wagte man sich auf gefährliche Gleise mit der Abkehr vom Prinzip, Radsätze grundsätzlich nur aus geschmiedetem Stahl am Stück herzustellen. Das Unglück von Enschede und das gerade noch bei der Ausfahrt aus dem Kölner Hauptbahnhof verhinderte der gleichen Grössenordnung belegen: Um Vorteile für die zukünftigen Aktionäre zu erreichen, wurde sogar das Leben der Kunden riskiert. Besonders nervös macht dabei: Man hat diese Experimente nach der Katastrophe von Enschede nicht eingestellt.

Natürlich gab es innerhalb der Bahn deutliche Widerstände. Ein nicht unwesentlicher Teil nicht nur der Arbeiter und Angestellten, sondern auch der Leute in den Führungsebenen war offensichtlich nicht damit einverstanden, die Bahn zu einem reinen Dienstleitungsbetrieb für Höherverdienende zu machen und das Gross der Bevölkerung auf das Auto zu verweisen und sich ausschliesslich am Wohl der Aktionäre zu orientieren. Was Mehdorn tat, um mit diesem Problem fertig zu werden, beschreibt die „Süddeutsche“ in einem Artikel mit dem Titel "Mehdorns Trümmerhaufen" folgendermassen.

„Als wäre eine Fessel abgefallen, beginnen viele in der Konzernzentrale zu reden; ihre Berichte sind Zeugnisse der Einschüchterung, Belege für ein Klima des Misstrauens. Bahn-Mitarbeiter erzählen von Manipulationen und Mobbing, zu Hunderten wurden ihre Festplatten gefilzt und Kontakte ausgespäht. Abteilungen wie die "Konzernsicherheit" und die "Konzernrevision" schnüffelten um die Wette. Jenseits von Expansion und Börsentraum ging es anscheinend finster zu. (...) Offenbar war es einfach so, dass die Spitze des Konzerns keine Widerrede duldete. Wer fundamentale Leitlinien missachtete, insbesondere die Doktrin eines Groß-Börsengangs der Bahn samt Schienennetz, hatte in Führungspositionen nichts mehr zu suchen. Wer eine andere Meinung vertrat und diese mit anderen teilte, konnte sich der besonderen Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten gewiss sein; vielfach ersetzte Repression die Diskussion.“

Man muss davon ausgehen, dass die „Süddeutsche“ hier noch extrem diplomatisch formuliert, um sich keine Prozesse auf den Hals zu holen. Also stellen Sie sich vor, was da wirklich geschah!

Und das „Shareholder-Value“-Denken und Handeln beschränkt sich ja keineswegs auf Telekom und Bahn. Auch andere deutsche Konzere haben „die Zügel angezogen“. Dort heisst es jetzt: „Order pariert oder krepiert“! „Teamarbeit“, „Partizipative Führung“, dafür hat man nicht einmal mehr ein müdes Lächeln übrig.

Die Doktrin des „Shareholder-Value“ fordert den puren Kapitalismus in Reinkultur, ohne abfedernde Nettigkeiten. Die Besitzer sind die Alleinherrscher (dazu zählt man auch die Vorstandsvorsitzenden) und der Rest sind bestenfalls noch nützliche Idioten. Die Zeiten, in denen die Mitarbeiter angeblich als Humankapital angesehen wurden, sind Vergangenheit – falls es sie denn gegeben hat. Deutlich wird das daran, dass die grossen Unternehmen kaum noch normale Arbeitsverträge abschliessen. Zeitarbeit, Praktikantenplätze, erzwungene Teilzeit und prekäre Unter-Tarif-Plätze sind heute angesagt.

„Shareholder-Value“, oder in anderen Worten Kapitalismus, das bedeutet aber nicht nur für die Beschäftigten einen Status nahe dem von Sklaven, das heisst auch: Die Kunden sind uns schnurzegal.

Die Automobilkonzerne geben da ein gutes Beispiel: Sie geben offen zu, neue Autos nicht mehr auf Herz und Nieren zu prüfen, bevor sie herauskommen. Man wartet auf die Reklamationen und bessert dann nach. Der Schreiber dieser Zeilen ist selbst schon Opfer dieses Vorgehens geworden. Und Vielflieger, Achtung! Auch die beiden verbliebenen Verkehrsflugzeug-Konzerne bedienen sich dieser Kostensenkung.

Für den Kunden besonders deutlich wird aber die völlige Missachtung, die man ihm entgegenbringt, an den Fällen, wenn man eine Reklamation oder Auskunft am Telefon anbringen will. Die „Service-Linien“, z.B. der Betreiber von Handy-Netzen, übertreffen sich darin, den Anrufenden endlos Zahlen eingeben zu lassen, bis er es entweder aufgibt oder schon vergessen hat, was er eigentlich wollte. Kommt man nach riesigen Zahlenkolonnen am Ende wirklich an die Stelle, wo man auf einen Menschen am anderen Ende der Leitung zu hoffen beginnt, wird man mit unakzeptablen Wartezeiten konfrontiert. Hat man auch diese Hürde genommen, so sieht sich der „Überlebende“ mit Angestellten konfrontiert, die offenbar auf prekären Arbeitsplätzen sitzen, von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, anscheinend keine richtige Ausbildung genossen haben und falsche Auskünfte geben.

All dies charakterisiert den Kapitalismus als System, so wie er sich uns nun aller Kleider beraubt darbietet. Zeit, die Diktatur des Monopolkapitals zu beenden.


Veröffentlicht am 26. Mai 2009 in der Berliner Umschau

Sonntag, 24. Mai 2009

Rassismus, gibt’s den?

Bundesregierung boykottierte letzten Monat die Anti-Rassismus-Konferenz der UN

Von Karl Weiss

Originalveröffentlichung

Fast möchte man meinen, Rassismus gegen Dunkelhäutige sei ausgestorben. Ist nicht der US-Präsident eine schwarz-weiss-Mischung? Sieht man allerdings, wie die afrikanischen Länder von den internationalen Kreditorganisationen Weltbank und IWF behandelt werden, dann kommen schon die ersten Zweifel. Nun aber scheint die deutsche Bundesregierung in aller Offenheit das Visier heruntergelassen und rassistische Vorschriften erlassen zu haben.


Die Bundesregierung, in Person des Finanzministers Steinbrück, SPD seines Zeichens, hat anscheinend eine Verordnung erlassen, dass die verbliebenen Kontrollen an Schengen-Grenzen (oder nur an der letzhin geöffneten Grenze zur Schweiz?) auf Dunkelhäutige konzentriert werden sollen.

Wie hier: https://www.steinbergrecherche.com/sozialdemokraten.htm#Steinbrueck dokumentiert, wurde an der Deutsch-Schweizer Grenze in einem ICE in einem Abteil nur der einzige Dunkelhäutige nach dem Pass gefragt und ob er Waren zu verzollen habe. Nach Angaben des Ober-Zöllners auf Anweisung. Chef des deutschen Zoll ist Finanzminister Steinbrück.

Es handelte sich im genannten Fall um einen Kanadier, dessen Vorfahren aus Nepal stammten.

Sozialdemokratischer Rassismus.

Jetzt bekommt die Weigerung der Bundesregierung, an der Anti-Rassismus-Konferenz der UN letzten Monat teilzunehmen, ein ganz besonderes „Geschmäckle“, wie man im Südwesten der Bundesrepublik zu sagen pflegt. Zwar schob man zusammen mit den USA, den Niederlanden und Israel andere Gründe vor, aber es wird deutlich, man ist wirklich gegen Anti-Rassismus.

Montag, 11. Mai 2009

Ruhe vor dem Sturm

Der Schock kommt noch

Von Karl Weiss

Noch ist es ruhig in Deutschland. Man könnte fast meinen, `good old Germany` wäre weniger als andere Länder von der multiplen internationalen Krise betroffen. Wolfgang Münchau, der im Ausland lebende Kommentator der FTD, bemerkt dies bei seinen Deutschlandbesuchen besonders deutlich. Er fragt: „Warum weiss der durchschnittliche Belgier mehr von dieser Krise als der durchschnittliche Deutsche?“

Tatsächlich sind die Zahlen der Entlassungen in Deutschland noch vergleichsweise niedrig, weil es in Deutschland die Kurzarbeitergeld-Regelung gilt – eine kleines letztes Überbleibsel von sozialen Rechten in Deutschland.

Auch die Abwrackprämie hat geholfen, bisher noch Massenentlassungen speziell in der Automobilindustrie zu verhindern. So lesen viele in Deutschland zwar über die Krise in der Zeitung und sehen sie in den Nachrichten, aber sie spüren sie noch nicht – oder nur wenig – am eigenen Leib. Auch gibt es Gegenden in Deutschland, wo es nur wenig Industrie gibt und die Dienstleistungen – wie auch der öffentliche Sektor - dominieren, wie zum Beispiel in Berlin

Dies macht sich die Politik zunutze und spielt nach Leibeskräften die Krise in Deutschland herunter. Wie aus einem Leierkasten wird die These wiederholt, man brauche die Nachfrage nicht zu stimulieren. Den meisten Deutschen ist gar nicht bewusst, dass Deutschland bisher praktisch nichts zur Stützung der Nachfrage unternommen hat, während in fast allen Industrieländern bereits ins Arsenal der typischen Konjunkturstützen gegriffen wurde, die immer vorrangig die niedrigen Einkommensgruppen bevorzugen müssen, um schnell und deutlich zu wirken: Erhöhung des Eingangssteuersatzes, Erhöhung der Arbeitslosen-Leistungen, Verlängerung der Bezugszeiten, Erhöhung der Abschreibungsmöglichkeiten von der Steuer für die breite Masse usw. usf.

Wie ein anderer Kommentator der FTD, Zeise, bemerkt, liegt das daran, dass die deutsche Politik, sprich CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne nicht begriffen haben, was die Krise verursachte. Sie glauben, es war der Ausfall der Kredite zu günstigen Bedingungen durch die Banken und versuchen daher mit Einsatz bisher unbekannter Grössenordnungen von Mitteln die Banken in ihrem Krankenbett aufzurichten. In Wirklichkeit ist die Wirtschaftskrise (nicht die Finanz-, Kredit-, Währungs-, Geldsystem- oder Staatsanleihen-Krise) schlicht und einfach eine Überproduktionskrise, sprich die Menschen haben zu wenig Geld, um all die produzierten Waren kaufen zu können, also eine Krise der mangelnden Nachfrage.

Deutschland: Umsatz gewerbe 2007 bis März 09, 2005 gleich Hundert
Die Tiefe der Krise kommt in diesem Bild deutlich zum Ausdruck. Der Absturz ist fast senkrecht und wenn er im März nicht mehr so weiter geht, sagt das noch nichts über den April und die nächsten Monate.


Ganz im Gegensatz zum Eindruck, den viele Deutschen noch haben, ist aber Deutschland besonders intensiv von dieser Krise betroffen. Der Rückgang des Brutto-Inlandsproduktes ist nach Japan der zweithöchste. Hier muss allerdings erwähnt werden, dass in den USA die Zahlen des BIP (in englisch: Gross National Produkt: GNP) massiv manipuliert werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass in Wirklichkeit die US-Krise in der gleichen Grössenordnung wie die Japanische und Deutsche liegt.

Inzwischen haben sich Sachverständigenrat, OECD und Bundesregierung auf etwa 6% Rückgang des BIP gegen das Vorjahr für 2009 in Deutschland geeinigt. Das ist eine Grössenordnung, wie es sie nur als Folge der Weltkriege und in der großen Depression von 1929 und folgende gab. Es wird Massenarmut und Hunger in Deutschland geben. Die Entlassungen werden in die Millionen gehen.

Zwar wird man die Zahlen noch eine Zeitlang manipulieren können, zwar wird die Kurzarbeiterregelung verlängert, aber irgendwann wird die Abwrackprämie und die Kurzarbeitergeld-Regelung auslaufen, irgendwann wird der Verzögerungseffekt des einen Jahres Arbeitslosengeld 1 zu Ende sein und dann ist die K... am Dampfen.

Die Politik sorgt sich momentan nur um eins: Dieser Zeitpunkt darf nicht vor den Wahlen im September sein. Und nach den Wahlen die Sintflut. Dann wird man eine irgendwie halbwegs legitimierte Regierung haben und die sozialen Verwerfungen gedenkt man mit Gewalt zu unterdrücken. Aber gerade dieser Betrug mit den Wahlen und danach das Messer gewetzt, wird die Massen besonders empören.

Es ist offensichtlich, die Politik hat nicht die geringste Ahnung, wie viel unterdrückte Wut heute bereits in Deutschen Arbeitergehirnen rumort und sie will es wohl auch nicht wissen. Es sei nur daran erinnert, wie 2004 nach der Ankündigung von Hartz IV innerhalb kürzester Zeit die Monagsdemonstrationen aktiviert wurden und dann für glatte zwei Monate um die 200.000 einfache Menschen jeden Montag auf die Straße gingen.

Politiker kennen keine Arbeiter, bzw. nur Luxus-Arbeiter wie freigestellte Betriebsräte und Betriebsratsvorsitzende. Wer ein wenig Einblick in das Denken der kleinen Leute in Deutschland hat, weiss, wieviel Zorn sich jetzt bereits angesammelt hat. Man stelle sich vor, wenn der nicht mehr nur mit Faust in der Tasche abreagiert wird. Die Vorstellung, mit massiver Unterdrückung könne man dem leicht Herr werden, hatten noch immer alle Reaktionäre angesichts revolutionärer Bewegungen, wie zum Beispiel der französische Adel vor dem Sturm auf die Bastille oder der König von Nepal, der inzwischen bereits abdanken musste.

In Deutschland herrscht die Ruhe vor dem Sturm.


Veröffentlicht am 11. Mai 2009 in der Berliner Umschau

Mittwoch, 6. Mai 2009

Was Jupiter darf, steht einem Ochsen noch lange nicht zu

Zwei Masse, zwei Gewichte

Von Karl Weiss

Originalveröffentlichung

Die „Süddeutsche“ greift die Frage der Vorverurteilung von Verdächtigen auf, speziell im Fall von Kinderporno-Vorwürfen. Das ist ehrenvoll, nur tat sie dies nicht, als sich 2007 herausstellte, dass Zehntausende von Menschen auf der ganzen Welt unschuldig in solchen Verdacht geraten und öffentlich vorverurteilt worden waren, wie im Fall „Operation Ore“, sondern erst jetzt, als ein SPD-Bundestagsabgeordneter in diese Mühle geriet, noch dazu einer, der offensichtlich gar nicht so sehr unschuldig ist.

Zwei Masse, zwei Gewichte, das ist die Praxis der „Süddeutschen“ und selbstverständlich auch der anderen bürgerlichen Medien. Als im Jahr 2007 offensichtlich wurde, dass Zehntausende von einfachen Bürgern in verschiedenen Ländern, darunter in den USA, in Deutschland, in Grossbritannien, in Österreich und der Schweiz unschuldig in Kinderpornoverdacht geraten waren, weil Kriminelle ihre Kreditkartendaten „gephisht“ und damit Porno-Seiten besucht hatten, unter denen auch eine Kinderporno-Site gewesen sein soll, war Schweigen im Walde bei der „Süddeutschen“ und allen anderen bügerlichen Medien. Der Fall „Operation Ore“ wurde vom Bürger-Journalisten in drei Teilen eines Dossiers abgehandelt, Teil 1 hier, Teil 2 hier und Teil 3 hier.

Auch die bürgerlichen Medien hätten Gelegenheit gehabt, diese Dinge zu recherchieren und dazu zu berichten. Aber: Kein Wort!

Nun aber hat man, so will man uns jedenfalls weismachen, einem SPD-Bundestagsabgeordneten übel mitgespielt. Nur hat er inzwischen schon zugegeben, sich aktiv „hartes“ Kinderporno-Material per Post zuschicken gelassen zu haben, angeblich, weil er den Behörden bei der Verfolgung der Täter behilflich sein wollte. Und da wird laut aufgeschrien. Dem Abgeodneten Tauss sei Unrecht geschehen. Seine Taten seien an die Öffentlichkeit gekommen, ohne dass er sich vorher in einem Prozess verteidigen konnte. Wegen der unglaublichen Brisanz des Kinderporno-Vorwurfs sei er „sozial abgeschlachtet“ worden, bevor er eine Chance hatte.

Und warum war das keinen Artikel wert, als Zehntausende einfacher Bürger diese Behandlung erfuhren? Nun, die sind ja keine SPD-Bundestagsabgeordneten, nicht wahr? Das kann man doch nicht vergleichen. Die alten Römer nannten das: „Quod licet Iovi, non licet bovi“ (Was Jupiter darf, steht einem Ochsen noch lange nicht zu).

Was den Abgeordneten Tauss betrifft, der war kein Hinterbänkler, bevor er sich gezwungen sah, alle Posten (ausser dem Bundestagsmandat) aufzugeben. Er war medienpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, er war Geschäftsführer der baden-württembergischen SPD. Und er hat sogar sehr zutreffend den Gesetzentwurf von Frau von der Leyen zur Sperrung von angeblichen Kinderporno-Seiten im Netz kritisiert. Allerdings hat diese Kritik ihres Sprechers die SPD-Fraktion nicht davon abgehalten, geschlossen für eben jenes Gesetz zu stimmen.

Nun, es gibt schon einmal Fälle, in denen Journalisten und – warum nicht - auch einmal ein Bundestagsabgeodneter selbst gewagte Recherchen anstellen, um der Justiz, den Sicherheitsvorkehrungen oder Polizei und Staatsanwaltschaft oder auch dem Gesetzgeber auf die Sprünge zu helfen. So gab es zum Beispiel Journalisten, die mit Pistolen in Flugzeuge stiegen, um die mangelnden Sicherheitskontrollen zu beweisen, es gab andere, die Polizisten bestachen und nachwiesen, die sind bestechlich und mehrere ähnliche Fälle.

Schliesslich gab es noch den bis heute ungeklärten Fall von zwei mit Sprengstoff ausgerüsteten Personen, die versuchten in den abgesperrten Sicherheitsbereich des G8-Gipfels in Heiligendamm im Jahr 2008 einzudringen und erwischt wurden. Sie behaupteten, sie seien CIA-Agenten und hätten die Sicherheitsmassnahmen testen wollen. Genauers in diesem Artikel: https://karlweiss.twoday.net/stories/3949019/

Was tun solche Personen, die recherchieren und sich dabei selbst in die Position von Gesetzesbrechern bringen, um nicht als solche angesehen zu werden? Nun, sie hinterlegen ein Dokument mit ihrem Plan der Recherche bei Notaren oder Rechtsanwälten und bei ihrem Chefredakteur und/oder sie warnen direkt die Polzei vor, kurz, sie sichern sich - meistens mehrfach - ab, um nicht mit Kriminellen verwechselt zu werden und das funktioniert auch in der Regel.

Hat nun SPD-Tauss entsprechende Absicherungen benutzt? Nein. Er muss sich also sehr wohl den Verdacht gefallen lassen, es ging ihm unter Vorschützen seines Bundestagsmandats eben doch darum, an „hartes“ Kinderporno-Material zu gelangen.

Nun, er bestreitet das vehement. Allerdings muss man einem medienpolitischen Sprecher einer grossen Bundestagsfraktion unterstellen, er habe ein Minimum an Intelligenz und kann unmöglich glauben, er brauche sich nicht abzusichern. Dann aber muss man ihm etwas vorwerfen, was eigentlich stärker wiegt als der Konsum von Kinderporno (nach deutscher Gesetzgebung rein rechtlich gesehen ein Vergehen vergleichbar mit Sachbeschädigung).

Dann muss man davon ausgehen, er hat sich mit der Anhäufung hoher politischer Ämter soweit vom normalen Menschen entfernt (so wie Jupiter vom Ochsen), dass er ernsthaft glaubte, über den Gesetzen zu stehen. Fehlende Realitätsbezogenhet ist ja gar nicht so selten bei bürgerlichen Politikern.

Mit der weiterhin aktuellen Verfolgung von Tauss stellt sich aber gleich auch noch eine andere Frage: Was war denn nun mit den beiden (angeblichen oder wirklichen) CIA-Agenten, die beim G8-Gipfel mit Sprengstoff in den Sicherheitsbereich eindringen wollten. Auch sie hatten weder vorher bei der deutschen Polizei ihren „Test“ angekündigt noch Dokumente bei Rechtsanwälten hinterlegt oder ähnliches. Sie wurden in keinster Weise behelligt. Im Gegenteil, nach einer kurzen Rückfrage bei US-Stellen haben die deutschen Behörden beide sofort freigelassen. Wie ist das nun? Gibt es da auch das Jupiter-Ochse-Verhältnis? CIA-Agenten sind Jupiter-gleich und wir Deutschen einschliesslich unserer Polizei und Justiz sind Ochsen?

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