Dienstag, 9. September 2008

Ein Volk unverbesserlicher Rassisten?

Das kann wohl nicht wahr sein.

Originalveröffentlichung

Von Karl Weiss

Uri Avnery hat in seiner aktuellsten Kolumne, veröffentlicht in vielen alternativen Medien, unter dem deutschen Titel „Des Teufels Pferdefuss“ eine mögliche Ein-Staat-Lösung für das Problem Israel/Palästina als eine Anti-Lösung bezeichnet, weil dies automatisch zu der „ethnischen Säuberung“ durch die jüdischen Israelis gegen alle Araber führen würde, deren sie habhaft werden könnten. 99,99% der jüdischen Israelis würden daran teilnehmen. Ist Israel wirklich der Staat der unverbesserlichen und gewaltbereiten Rassisten?

Uri Avnery

Eine der Stellen dieser Veröffentlichung des Artikels von Avnery ist hier.

Die völlige Zerstückelung des palästinensischen Territoriums wird hier deutlich. Das ist keine Besatzung, das ist Annektion.

Als Grund für den vorausgesagten Genozid in diesem Fall gibt Avnery an, die Juden in Israel würden die "demographische Drohung" fürchten. Will sagen, die Palästinenser haben durchschnittlich mehr Kinder als die jüdischen Einwohner Israels und würden so bald die Mehrheit darstellen. Avnery, anstatt das rassistische Argument der „demographischen Drohung“ zu bekämpfen, macht es sich zu eigen.

Das sei dann eben so, dass die Palästinenser bald die Mehrheit stellen würden und dann: „99,99% der jüdischen Bevölkerung wird sich mit Zähnen und Klauen dagegen wehren. Die Demographie wird nicht aufhören, sie heimzusuchen, im Gegenteil, es wird sie zu Dingen antreiben, die heute noch undenkbar sind. Die ethnische Säuberung wird praktisch auf die Agenda kommen.“

Das ist rassistisch und faschistisch, bei allem Respekt vor Uri Avnery, dessen Kommentare üblicherweise die grosse Hoffnung am Leben erhalten, das Nahost-Problem könne doch noch friedlich gelöst werden, wenn nur endlich der „grosse Bruder“ von der anderen Seite des Atlantiks aufhörte, sich einzumischen. In diesem Fall aber stimmt Avnery in diese absurde Lamentiererei über die „demographische Bedrohung“ ein, was viel von dem, was er sonst geschrieben hat, den Wert nimmt.

Tatsache ist, wenn man eine Bevölkerung in Elend, Armut und Hoffnungslosigkeit treibt oder belässt, hat sie eine weit höhere Kinderzahl pro Paar als wenn man ihnen ausreichende oder gute Lebensbedingungen bietet. Über die Gründe dafür braucht hier nicht spekuliert werden. Würden die Palästinenser aus der von der israelischen Besatzung verursachten Elend, Armut und Unterentwicklung befreit und hätten ausreichende und sogar aufstrebende Lebensbedingungen, würde die Zahl der Kinder pro Paar im gleichen Masse sinken wie bei allen anderen Völkern, bei denen dies geschah.

Das Argument, die Palästinenser seien eben so, die hohe Zahl der Kinder stecke bei ihnen gewissermassen in der DNA, ist absurd und rassistisch. Das ist vergleichbar mit der Anmassung jener hohen Adligen in Deutschland, die erklärte, die Schwarzen würden eben so gerne „poppen“, daher seien die Probleme Afrikas mit der hohen Geburtenrate verbunden.

Avnery ist eigentlich zu intelligent, um dies absurde Argument zu verwenden. Wenn er es trotzdem tut, so steckt da offenbar Anderes dahinter. Was das sein könnte, darauf weist diese Passage hin: „Innerhalb weniger Jahre werden die arabischen Bürger die Mehrheit darstellen. Dann ist der zionistische Traum ausgeträumt. Der jüdische Staat ist gestorben.“

Ist das ein Albtraum für Avnery?

Palestina land loss

Meint er wirklich, es wäre möglich, das Nahostproblem zu lösen, indem in Israel alles gleich bleibt, lediglich ein winziges Stück Land den Palästinensern zur Verfügung gestellt wird, das sie einen „Staat“ nennen dürfen, möglichst noch geteilt in zwei (oder mehrere) Teile ohne Verbindung, wo man sie nach Belieben aushungern kann, ihnen das Wasser abdrehen, jeglichen Kontakt nach aussen unterbinden und dann vergnügt zusehen kann, wie sie verdursten, verhungern - oder sich vielleicht sogar gegenseitig auffressen?

Nein, eine Lösung des Nahostproblems ist nur möglich, wenn der zionistischen Ideologie in Israel abgeschworen wird, die eine angebliche „natürliche“ Überlegenheit des jüdischen über andere Völker beinhaltet, wenn Israel die Attribute des „Jüdischen Staates“ verlässt und einen normalen säkularen demokratischen Staat installiert, unabhängig, ob es daneben einen palästinensichen Staat gibt oder ob sich der als gar nicht nötig herausstellt, denn man kann ohne Zionismus und „Jüdischen Staat“ auch in einem gemeinsamen Staat zusammenleben.

Avnery unterschätzt offenbar sein eigenes Volk. Araber und Juden haben friedlich zusammengelebt im Nahen Osten, bevor dort der Zionismus installiert wurde und können dies auch danach wieder.

Wenn Israel darauf besteht, zionistisch zu bleiben und ein „Jüdischer Staat“ zu sein, dann macht es nicht den geringsten Unterschied, ob daneben ein palästinensischer Staat installiert wird oder nicht. Es wird weiterhin ständig Quelle von Spannungen und Kriegen im Nahen Osten sein, denn die Araber können nicht in Frieden leben, solange es in ihrer Mitte einen zionistischen Krebs gibt.

Wenn Avnery gewissermassen argumentiert, wenn die Palästinenser in einem gemeinsamen Staat die Mehrheit zu werden drohten, sei es fast schon gerechtfertig, sie mit einem Genozid zu überziehen oder zu vertreiben, so stellt er sich in den Gegensatz zu allen grundlegenden Menschenrechten. Er sollte sich wirklich überlegen, was er da sagt.

Wenn er wirklich Recht hat, dass 99,99% der jüdischen Israelis sich dann am Genozid und an Vertreibungen beteiligen würde – was kaum glaubhaft ist -, wenn das wirklich stimmte, so muss man die grundlegende Frage stellen, ob die Existenz eines solchen Volkes unverbesserlicher gewaltbereiter Rassisten im arabischen Herzland von der wirklichen internationalen Gemeinschaft (nicht von der selbsternannten der Regierung der USA und ihrer Verbündeten) akzeptiert werden kann.

Dann muss man sich überlegen, ob ein Staat, der sich so identifiziert, nicht mit Gewalt von diesen Idealen abgebracht werden muss, z.B. durch ein System von Sanktionen, wie damals im Falle Südafrika. Siehe in diesem Zusammenhang auch den Artikel: „...am Ende werden wir weg sein“.

Diese Frage mag sich konkret erst in Jahrzehnten so stellen, aber auch wenn es noch 100 Jahre dauert, es kann kein Überleben eines zionistischen „Jüdischen Staates“ im arabischen Kernland geben. Nur das friedliche Zusammenleben unter gleichen Rechten und Bedingungen mit den Arabern kann den Juden in Israel garantieren, in diesem Teil der Welt leben zu können.

Montag, 8. September 2008

Die Tinner-Connection, Teil 2: Der größte Skandal in der Geschichte der USA?

Ein Komplott zur Weitergabe der Atomgeheimnisse

Von Karl Weiss

Nach allen vorliegenden Beweisen scheint nun festzustehen: Die US-Regierung hat mit voller Absicht über seinen Geheimdienst CIA und unter Mitwirkung der Bundespolizei FBI die Anleitungen zum Bau von Atombomben ins Ausland schaffen lassen und dort Agenten anderer Länder zugänglich gemacht. Die „Atom-Geheimnisse“, die dann keine mehr waren, wurden auf verschiedenen Wegen an Israel, an die Türkei, an Pakistan und in der Folge auch an den Iran, Libyen und Nord-Korea weitergegeben.

CIA-Hauptquartier Langley

Die drei Tinners aus der Schweiz, Vater Friedrich Tinner und seine beiden Söhne Urs und Marco waren CIA-Mitarbeiter und haben einen wesentlichen Teil dieser schweren Verbrechen durchgeführt. Die Schweiz hat die entsprechenden Akten bewusst vernichtet, um eine Anklage gegen die Tinners zu erschweren.

Dies alles geht aus Artikeln der New York Times und der Londoner Times hervor. Auch andere haben Teile dieses Komplotts aufgedeckt, darunter die ehemalige FBI-Mitarbeiterin Sibel Edmonds und die deutsche Website world-content-news. Weitere Quellen sind der Schweizer Tagesanzeiger und die Schweizer Nachrichtenagentur 20min.

Wer alle Quellen nachlesen will, findet die Links zusammengefasst in diesem Artikel.

Bereits im ersten Teil von “Die Tinner-Connection“ wurde berichtet: Die Regierung der Schweiz hat offiziell über 300 000 Akten vernichtet, vor allem als Computerdokumente, die sowohl die Inhalte der Atomgeheimnisse als auch die Tätigkeiten der Tinners diesbezüglich enthielten.

Es verdichten sich die Anzeichen seitdem, dass dies auf intensiven Druck aus den USA geschehen ist. Offenbar wollte die US-Regierung damit verhindern, dass bekannt wurde, die drei Tinners waren Mitarbeiter des CIA. Denn die Unterlagen belegen andererseits die Weitergabe von Atomgeheimnissen an Nord-Korea, an Libyen (damals noch „Schurkenstaat“ Nr.1) und an den Iran. An den Iran??? Ja, an den Iran!

Tinners Haus in Haag in der Schweiz

Dieser Hauptgrund für die Vernichtung der Akten (damit die Verbindung der Tinners zum CIA nicht auffliegt), hat sich allerdings bereits erübrigt, denn nun, Ende August (Artikel vom 24. August), nur wenige Monate nach der Bekanntgabe der Vernichtung im Mai, stand bereits in der New York Times, sie waren Mitarbeiter des CIA.

Woher die NYT das weiss? Sie sagt, sie hat Aussagen von insgesamt vier Geheimdienstmitarbeitern darüber, die allerdings in der Anonymität verblieben. Es gab aber auch die Aussage von Gary Samore, dem ehemaligen Zuständigen für Nichtweiterverbreitung des US-National Security Council: Die Zusammenarbeit mit den Tinners sei extrem wichtig gewesen. Es wurde auch gleich noch berichtet, die Tinners erhielten 10 Millionen Dollar für ihre Dienste, zum Teil in den berühmten schwarzen Geldkoffern, die auch das deutsche Publikum seit Kohl zur Genüge kennt.

Die Lüge der Schweizer Regierung, man habe die Unterlagen vernichtet, um ihren Diebstahl zu verhindern, damit diese Atombombenbaupläne nicht in die Hände von Terroristen gelangen, war schon damals durchschaubar. Wenn ausgerechnet die Schweiz, die das Geld und die Geldgeheimnisse der Hälfte aller Reichen dieser Welt gut gesichert beherbergt, sich für ausserstande erklärt, ein paar Computerfiles sicher aufzubewahren, so ist das eine Lachplatte.

Urs Tinner

Man hat aber immer noch eine Ausrede: Der Kontakt mit den Tinners und das Abschöpfen von dem, was sie wussten, habe dazu gedient, herauszufinden, wohin Abdul Khan, der „Vater der pakistanischen Atombombe“, seine Kenntnisse verkauft hatte. Die Tinners seien enge Mitarbeiter von Khan gewesen und daher konnten sie wissen, was und wohin Khan verkauft hat.

Auf den ersten Blick ergibt das einen Sinn, wenn man die offizelle Khan-Story glaubt. Aber da gibt es ernsthafteste Zweifel.

Abdul Khan

Abdul Khan hat 2004 im Fernsehen auf Englisch eine Geständnis abgelegt, er habe seine Kenntnisse über die Urananreicherung und den Bau von Atombomben an Nord-Korea, Libyen und den Iran weiterverkauft, aber es gibt nicht die geringsten handfesten Beweise hierfür. Zwar behauptet dies auch die CIA, aber was die sagt, kann man ja wohl nicht als glaubwürdig ansehen.

Er wurde nämlich nie wirklich vor ein Gericht gestellt, wo Beweise hätten aufgefahren werden müssen. Er wurde vielmehr nach seinem öffentlichen Geständnis vom kürzlich zurückgetretenen pakistanischen Diktator Musharraf begnadigt (der nie über die Rolle eines Vasallen der US-Regierung hinauskam), und lebt seitdem unter Hausarrest, aber unter recht freundlichen Bedingungen, in Islamabad.

Kürzlich wurde er von einem Journalisten interviewt und widerrief sein Geständnis. Er sei damals mit der Androhung schwerster Bestrafungen zu diesem Schauspiel gezwungen worden. Er sei es nicht gewesen, der die Atom-Unterlagen an diese Länder weitergegeben habe.

Diese Einlassung ist glaubhafter als das Geständnis.

Warum? Weil es die Aussagen der früheren FBI-Übersetzerin Sibel Edmonds gibt, eine jener heroischen Frauen, die selbst einem Präsidenten Bush junior die Stirn zeigen. Was sie sagte (nachdem ihr Sprechverbot Ende 2007 abgelaufen war), steht nämlich in drei Artikeln der Londoner Times vom Anfang des Jahres.

Die ganze Geschichte ist zuammengefasst in den zwei Artikeln „Die Türkei-Connection, Teil 1“ und „Die Türkei-Connection, Teil 2“ und soll hier nur kurz dargestellt werden:

„Die Londoner Times hat veröffentlicht, wie US-Offizielle, beginnend im Jahr 2000, über eine private türkische Gesellschaft hoch geheime Atom-Unterlagen an Israel und an Pakistan (und damit später an den Iran, an Nord-Korea und an Libyen, wahrscheinlich auch an die Türkei und Saudi-Arabien) verkauft haben.“

„Dieser Deal wird jetzt von Präsident Bush mit einer geheimen Gesetzesvorlage versucht nachträglich zu legalisieren. Es handelt sich um eine nach dem Atomwaffensperrvertrag international geächtete Tat – und um eine mit Todesstrafe bedrohte in den USA.“

„... kam aus Kreisen von US-Offiziellen (sprich also aus höchsten Kreisen der Bush-Administration) ein Hinweis an Vertreter der Türkei-Connection, die sich in den USA aufhielten, jeden Kontakt mit Brewster Jennings zu vermeiden. So kam die CIA nie dazu, den Komplott aufzudecken und auch im FBI wurde dafür gesorgt, dass keinerlei Informationen, die 'Türkei-Connection' betreffend, ausgeplaudert wurden (Wir haben schon gehört: Sibel Edmonds wurde entlassen und mit einem strafbewehrten Sprechverbot belegt).“

Zuammen mit den jetzt veröffentlichten Verbindungen über die Tinners und das offizielle USA ergibt sich also ein zusammenhängendes, klares Bild: Die offizielle USA hat gewollt Atomgeheimnisse weitergegeben. Niemand ist bis heute in den USA wegen dieser Spionage angeklagt worden. Im Gegenteil, Präsident Bush versucht, diese Weitergabe als (nachträglich) erlaubt durch einen Gesetz abzusegnen.

Darunter war auch der Empfänger Iran. Wenn man also dem Iran Geheimnisse geliefert hat, so kann man sich jetzt nicht darüber aufregen, dass der Iran sie verwendet – so er sie denn verwendet, wie die US-Regierung und Israel behaupten.

Es gibt also für die angebliche iranische Atombombe zwei Möglichkeiten:

Entweder die US-Regierung (unter Einbeziehen von israelischen Agenten) hat die Technologie selbst geliefert – dann kann man deshalb den Iran nicht angreifen –

Oder der Iran hat die Entwicklung einer Atombombe längst eingestellt – wie es US-Dienste leztes Jahr selbst veröffentlicht haben – dann kann man deshalb den Iran nicht angreifen –

So oder so, ein Angriff auf den Iran würde auf einem FAKE beruhen, mindestens so gross wie jenes der Massenvernichtungswaffen im Irak.


Veröffentlicht am 8. September 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Sonntag, 7. September 2008

Brasilien jenseits von Fussball und Samba, Teil 11: Brasilien und Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

Teil 11: Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

Von Elmar Getto

Es begann Anfang der Siebziger Jahre. Brasiliens Superreiche drängten auf eine neue Einnahmequelle und so erfand man das ‚Pro-alcool’-Programm, das erste großangelegte Experiment, Alkohol (bei uns auch gern ‚Weingeist’ genannt) statt Benzin als Kraftstoff für Autos zu verwenden.

Brasilien (topographisch)

Es war die Zeit der düstersten Jahre der brasilianischen Militärdiktatur. In den Folterkammern schrien die gequälten Kreaturen, der Militär-Präsident hieß Geisel, war deutscher Abstammung und handelte im Auftrag der US-Regierung. Jede noch so leise „linke Stimme“ wurde unterdrückt. Wer auch nur den Ansatz einer Kritik des Militärregimes äußerte, konnte sich mit etwas Pech bald in den Kellern der Junta vorfinden, wo die in Fort Bennett in den USA ausgebildeten Knechte ihre Kenntnisse anwandten (woher kommt nur das Gerücht, das die offiziellen USA erst jetzt hätten angefangen zu foltern?).

Auch die hohen Militärs, auf anderer Ebene, waren durch Fort Bennett gelaufen. Sie wußten, was sie zu tun hatten, um ihren Auftraggebern aus dem Norden des Doppel-Kontinents Wohlgefallen zu bereiten. Sie selbst waren fast alle aus den Familien der Superreichen Brasiliens, etwa 500 - 1000 Familienclans, die Banken, Unternehmen, Ländereien und den Staat besitzen seit der Unabhängigkeit und die dort trainiert wurden, ihre Macht mit dem „Großen Bruder“ aus dem Norden zu teilen. Der gestand ihnen dafür märchenhaften Reichtum zu. Und im Kapitalismus gilt meist: Je reicher sie sind, desto größer die Raffgier.

Diese 500 - 1000 Familienclans sind nebenbei meist auch noch Großgrundbesitzer und besitzen fast den ganzen Grund und Boden Brasiliens, von Stücken von nur einigen läppischen Zig Quadratkilometern bis hin zu Besitzungen in der Größe der Schweiz. Doch in jenem Tagen war mit Agrarprodukten nicht so viel zu verdienen. Die Weltwirtschaft war noch am Brummen – der letzte Rest des großen Booms der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Agrarprodukte dagegen waren schwer abzusetzen und niedrig im Preis. Ein wesentlicher Teil dieser Familienclans baute u.a. Zuckerrohr an, viele hatten auch Zuckermühlen, in denen dieses zu Zucker verarbeitet wird.

Zuckerrohr-Ernte

Doch die wichtigsten Zuckermärkte waren verschlossen: Die USA und Europa. Die stellten selbst Zucker her und hatten hohe Zollbarrieren (wie auch heute weiterhin). Der Zucker war nicht abzusetzen und die Preise verfielen. Ein Teil der Ernte wurde in den beliebten „Cachaça“ oder „Pinga“ umgesetzt, den brasilianischen Zuckerrohrschnaps, der sich durch einen Fermentierungsvorgang vom Rum unterschieden und die Grundlage des weltberühmten ‚Caipirinha’ ist. Doch auch dafür war der Markt begrenzt.

Ein kleiner Teil des Zuckers wurde in modernen Anlagen in Industriealkohol umgesetzt, so daß Brasilien zum einzigen Land wurde, in dem Ethanol (Alkohol) billiger war als Methanol, eines der Großprodukte der petrochemischen Industrie. Bis heute streiten sich die Geister, wer dann zuerst die Idee hatte, Alkohol auf seine Eignung als Kraftstoff zu testen. Es stellte sich schnell heraus, daß Alkohol im Prinzip als Kraftstoff für Benzinautos geeignet war. Er hat wegen seiner höheren Dichte sogar mehr Energieinhalt bei der Verbrennung pro Liter als Benzin – und er hat eine Oktanzahl von weit über Hundert, ist also nicht im geringsten klopfanfällig.

Wenn man den typischen Industriealkohol verwendet, der 99%ig ist, also nicht den mit Wasser vermischten 96%igen, ist er auch in allen Verhältnissen mit Benzin mischbar. Allerdings stellten sich auch schnell Nachteile heraus: Ein Teil der im Benzinsystem verwendeten Dichtstoffe im Auto war nicht beständig gegen Alkohol und – mit Alkohol springen die Autos nicht an, außer wenn es schön warm oder sehr heiß ist.

Treffende Karikatur

Nun ist es zwar in Brasilien weithin und über große Teile des Jahres heiß, aber es gibt eben auch südlicher und höher gelegene Orte, wo es schon mal ganz kühl werden kann und der in Brasilien dicht bevölkerte Südosten und Süden hat einen Winter, in dem schon mal Temperaturen unter 10 ºC vorkommen, in manchen Gebieten sogar unter 0 Grad. Das Problem wurde relativ einfach gelöst: Neben dem kleinen Kunststofftank für Scheibenwaschwasser unter der Motorhaube wurde ein zweiter, ebenso kleiner Benzintank mit etwa 2 Liter Inhalt angebracht, aus dem Benzin zum Anspringen geholt wurde.

Damals hatten fast alle Autos ja noch den ‚Choke’, den man ziehen mußte zum Kaltstart. Der konnte leicht mit einer Mechanik zum Öffnen des kleinen Benzintanks verbunden werden und fertig war das Alkohol-Auto. Ansonsten mußte man nur noch einige Dichtmaterialien austauschen.

Die Militärherrscher beschlossen also, ihren Familien (und den anderen Superreichen) mit den Alkohol-Autos zusätzlichen Gewinn zukommen zu lassen. Jeder Zuckerproduzent, der etwas auf sich hielt, legte sich nun eine Industriealkoholfabrik zu. Die drei Autofabriken, die es zu jener Zeit schon in Brasilien gab, die von Volkswagen, von General Motors und von Ford, wurden vergattert, Alkoholautos herzustellen und zu verkaufen und die Tankstellenketten, Alkoholtanks und -zapfsäulen anzuschaffen.

Das Ganze hatte auch noch einen Nebenzweck: Das hohe Außenhandelsdefizit Brasiliens sollte verringert werden, das damals nicht unwesentlich durch die Erdöleinfuhren erzeugt wurde, denn man brauchte Benzin und Diesel für die boomenden Fahrzeugabsätze. Zu jener Zeit hatte Brasilien noch kein Erdöl gefunden bzw. war noch in den Anfängen der Erölförderung.

Was hier interessant ist, ist die schwarze Linie (Beobachtung). Sie zeigt einen völlig von den vorherigen Scwankungen abweichenden, unaufhaltsamen Anstieg der Temperaturen in letzter Zeit.

Die bessere Umweltverträglichkeit von Alkoholautos und der Aspekt der nachwachsenden Rohstoffe spielten damals dagegen noch keine Rolle.

Der Alkohol aus Zucker wurde von der Steuer befreit und war damit billiger als das Benzin und er wurde mit etwa 10 % Benzin vergällt – und ab ging die Post. Fast unter Ausschluß der (außerbrasilianischen) Öffentlichkeit wurde eines der fortschrittlichsten Projekte im Großmaßstab der gesamten Automobilgeschichte auf die Beine gestellt – und das aus ganz kapitalistischen Gründen und ohne jede Absicht, fortschrittlich zu sein.

Alkoholautos waren beliebt, denn sie haben eine höhere Leistung als Benzinautos mit gleich großen Motoren – eine Folge der höheren Energiedichte. Allerdings hatte man mit Alkohol auch einen höheren Verbrauch als mit Benzin – eine Folge der fehlenden Anpassung der Motoren: Man hatte lediglich die Dichtungen ausgetauscht und den kleinen Tank eingebaut und sonst alles gleich gelassen. Man brauchte etwa ein Drittel mehr Kraftstoff als bei einem baugleichen Benzinmodell. Da aber der Preis für Alkohol auch ein Drittel unter dem des Benzins lag, glich sich das aus.

Bis etwa zur Mitte der 80er-Jahre, dem Höhepunkt des damaligen Alkoholbooms, waren bis zu 70% der in Brasilien verkauften Autos Alkohol-Fahrzeuge. Als der Schreiber dieser Zeilen 1990 nach Brasilien kam, kaufte er als Privatauto ein Alkohol-Auto, einen Fiat Uno (inzwischen hatte sich auch Fiat mit einer großen Fabrik in Brasilien niedergelassen). Der hat ihn über Jahre bis zu seinem Ende bei einem Unfall nie im Stich gelassen.

Kohlendioxid-Anstieg: Dies ist eine so überzeugende Kurve über das, was im Moment geschieht, dass sich jeder Kommentar erübrigt.

Zu jener Zeit hatten die großen Alkoholhersteller so große Profite, daß sie übermütig wurden. Einer der größten, eine Firma mit dem Namen Copersucar, kaufte sogar einen Formel-1-Rennstall und engagierte den zu diesem Zeitpunkt bereits dreimaligen brasilianischen Weltmeister Nelson Piquet für ihr Team. Der eine oder andere Rennsport-Begeisterte mag sich noch an diese Episode erinnern. Allerdings kam der Rennstall nie über die Rolle einer ‚Minardi’ hinaus und so stellte man das Engagement wieder ein.

Die Alkohol-Autos hatten allerdings den Ruf, daß ihr Motor nicht so lange hält wie jener der Benziner. Das könnte ebenfalls mit der mangelnden Anpassung der Motoren zusammenhängen, die ja nun ein deutlich höheres Drehmoment zu ertragen hatten, aber keinerlei Verstärkung erhalten hatten. Aber auch dies hatte dem Alkoholauto nicht den Garaus gemacht.

Was dies fast tat, war ein Ereignis aus dem Beginn der neunziger Jahre. Wieder war die Raffsucht der brasilianischen Superreichen der Anlaß. Die Alkoholhersteller hatten immer darauf geachtet, daß ihnen die Regierung im Gleichschritt mit den Benzinpreiserhöhungen auch zusätzliche Profite zuschanzte. So stand zu jenem Zeitpunkt mal wieder eine solche Erhöhung an, doch die Regierung und die Superreichen konnten sich nicht über den genauen Umfang einigen.

Da sagten sich Brasiliens Superreiche, daß man doch einmal etwas Muskeln zeigen müsse und stoppten die Belieferung. Unter Vorwänden wie „technische Probleme“, „die Schuld liegt bei den Vetriebsorganisationen“ und „die Tankstellen sind Schuld“ ließ man die Besitzer von Alkoholautos ohne Kraftstoff. Das dauerte zwar nur zwei Wochen, bis die Regierung nachgab, doch die Brasilianer kennen ihre Superreichen, die von den Mainstream-Medien üblicherweise als „die Elite“ bezeichnet werden, nur zu gut. Einmal Geschmack gefunden, würden sie dies Mittel immer wieder einsetzen.

Die fünf wärmsten Jahre seit 1890

Für die Brasilianer war damit das Alkohol-Auto gestorben. Von diesen Raffies in seiner Bewegungsfreiheit abhängig zu sein, nein, das wollte (fast) niemand. Die Alkohol-Autos verloren mächtig an Wiederverkaufswert, der Neuwagenverkauf der „Alkoholiker“ brach ein und bis zum Tiefststand im Jahre 2003 war der Verkauf von Alkoholautos auf unter 3% aller Neuwagen gesunken.

Zwar wiederholten die Raffkes jenen „Streik“ nicht, erschrocken über die harte Reaktion ihrer Landsleute, aber das Vertrauen war dahin. Es half auch nicht, daß nun Verträge mit Konventionalstrafen für Nicht-Lieferungen zwischen Regierung und „Elite“ geschlossen wurden, denn die Brasilianer haben ebenso schlechte Erfahrungen mit den staatlichen Autoritäten wie mit den elitären (die, wie sie wissen, sowieso ineinander verwoben sind).

Allerdings waren immer noch eine beträchtliche Zahl von ‚Alkoholikern’ in Bewegung, denn in Brasilien werden die Autos deutlich länger gefahren als in unserer salzdurchwachsenen Welt. Auch blieben die Alkoholfabriken nicht auf ihrem Produkt sitzen, denn nun wurde Schritt für Schritt der Alkoholanteil im Benzin in Brasilien erhöht. Heute wird dem Benzin 25% Alkohol zugesetzt. Das Benzin-Auto fährt also heute in Brasilien 3:1 mit Alkohol. Das wirkt nicht nur als Anti-Klopfzusatz – man braucht damit weder die früheren Blei-Zusätze noch die heute verwendeten Additive zur Erhöhung der Oktanzahl –, sondern macht auch einen Riesenunterschied für die Umwelt.

Welt-Ölreserven

Überhaupt ist Alkohol als Kraftstoff extrem umweltfreundlich.

Kurz gesagt: Die Verbrennung des Alkohols stößt lediglich die Menge von Kohlendioxid (das Treibhausgas) wieder in die Atmosphäre aus, die vorher beim Wachsen des Zuckerrohrs der Atmosphäre entnommen wurde: Die Lösung des Treibhausgasproblems in Bezug auf den Kraftstoff.

Grönland Erwärmung Überblick - Kartenausschnitt

Grönland Erwärmung Stand 2002

Grönland-Erwärmung-Stand-1985

Zugleich braucht man für die Fortbewegung per Alkohol nicht mehr auf die (begrenzten) Vorräte an Erdöl zurückgreifen. Sie können für noblere Zwecke genutzt werden und auf unbestimmte Zeit in ihrer Nutzung ausgedehnt werden.

Für ein Land wie Deutschland, das praktisch kein Erdöl hat, aber eine teure landwirtschaftliche Überproduktion von Lebensmitteln, die niemand braucht, aber von der EG mit unseren Steuergeldern aufgekauft wird, um vernichtet oder eingelagert zu werden, wäre das Alkohol-Auto DIE Problemlösung – jedenfalls innerhalb kurzer bis mittlelfristiger Sicht.

Aber – langsam mit die junge Pferde – immer der Reihe nach.

Die Automobilkonzerne sahen und sehen sich seit etwa dem Beginn der 80er–Jahre verstärkten Fragen nach alternativen Fortbewegungskonzepten ausgesetzt. Die Umweltbelastung mit saurem Regen, Ozongehalt der Luft und Stickoxiden und der Treibhauseffekt des produzierten Kohlendioxids beim Verbrennen von Benzin und Diesel drangen immer deutlicher in das Bewußtsein der Menschen ein – in neuerer Zeit auch die Frage der Endlichkeit der Erdölvorräte. Die Antwort der großen ‚carmaker’ war eine auf Sparflamme köchelnde Entwicklung aller alternativer Antriebssysteme. Sowohl an dem reinen Elektroauto wurde herumentwickelt wie auch an dem Hybrid-System. Man erprobte alternative Kraftstoffe wie Wasserstoff und Erdgas (und eben auch Alkohol oder Methanol). Die Entwicklung von Solarzellen-Antriebssystemen wurde ebenso begleitet wie die der Brennstoffzellen. Dazu kamen Entwicklungen, die man aus der Nähe beobachtete wie die der Batterien und der Lagerung von Wasserstoff.

Im Grunde war es allen Autofirmen bewußt, das so nicht weitergehen konnte, aber man mußte eben dort vor allem sehen, daß man Monopolist eigentlich nur in der Motorentechnik, der Karroserietechnik und im Verkauf und Marketing von Autos war. Alternative Antriebssysteme würden dieser Monopolstellung teilweise abträglich sein, denn da könnten andere Firmen, die mehr in diese Entwicklungen investiert hatten, plötzlich als neue Konkurrenten auftauchen. Die allgemeine Devise hieß daher: Mit Kleinst-Entwicklungsprogrammen für alle Fälle gewappnet sein, aber mit Macht auf die Weiterführung des Verbrennens von Benzin und Diesel drängen.

Globale Erwärmung

Bestätigt und unterstützt wurden sie darin von den Öl-Monopolen. Die waren und sind noch intensiver daran interessiert, daß möglichst der gesamte Transport der Menschheit auf Verbrennung von Benzin und Diesel basiert, denn sie sind die alleinigen Inhaber von Explorations-und Fördertechniken des Erdöls und Raffinerie-Techniken, die im wesentlichen genau diese Kraftstoffe herstellen. Weit über die Hälfte des Geschäfts der großen Ölmonopole ist basiert auf der Benzin- und Diesel-Kette vom Erdöl-Bohrloch bis zur Zapfsäule.

So bildete sich eine unheilige Allianz zwei der größten und mächtigsten Monopolgruppen dieses Kapitalismus, der Automobil- und Erdölmonopole. Beiden gelang es vereint, jegliche Neuerungen in Bezug auf Antriebssysteme und Kraftstoffe zu verhindern.

Erdöl 1

Jegliche Ansätze wurden immer mit dem Totschlagargument „nicht ausgereift“ vernichtet. Diese Konzerne verwiesen bei jeder Gelegenheit auf ihre eigenen Entwicklungen und versicherten in fast gleichlautenden Erklärungen über 25 Jahre hinweg, sicherlich seien in der Zukunft andere Antriebssysteme und andere Kraftstoffe möglich, aber die Entwicklungen zeigten, daß man bis auf weiteres nicht einmal in die Nähe einer ökonomischen Alternative zum heutigen Automobil, seinem Antriebssystem und seinen Kraftstoffen gekommen wäre.

Das häufige Wiederholen führte dazu, daß diese Argumentation gewissermassen zum Allgemeingut wurde. Kein brauchbarer Konservativer – oder 'neocon' – von heute, der sie nicht auswendig könnte: „Alles nicht ausgereift, braucht noch Jahre!“ - und das seit 25 Jahren!

Auffallend war nur, daß immer wenn andere als diese Konzerne sich der Dinge annahmen, schnell brauchbare Resultate herauskamen. In Wirklichkeit sind alle diese Alternativen bereits seit Jahren anwendungsfertig. Ihre praktische Umsetzung wird nur durch die (fast) Allmacht der interessierten Konzerne verhindert, jedenfalls bezüglich einer Verwirklichung in nennenswertem Umfang.

Schmelzendes Eis

Die Blockadepolitik vor allem von seiten der großen Ölkonzerne war so extrem und hysterisch, daß es sogar zu lächerlichen Episoden kam. In Brasilien kolpoltierte man in den 90er Jahren die Aussage eines Sprechers von einem ihnen, der glaubhaft versichert hatte, die Verwendung von Alkohol als Kraftstoff sei noch nicht voll anwendungsreif (nachdem zu diesem Zeitpunkt in Brasilien bereits seit 20 Jahren Millionen von „Alkoholikern“ herumfuhren).

Im Einzelnen handelt es sich um folgende Alternativen, die bereits anwendungsreif sind:

1. Verwendung von Wasserstoff als Kraftstoff in normalen Benzinmotoren – Das ist schon so lange möglich, daß kaum noch jemand davon spricht.

2. Verwendung von Wasserstoff in Brennstoffzellen zur Erzeugung von Strom, der dann das Fahrzeug antreibt – ein solches Vehikel hat vor kurzem den absoluten Sparsamkeitsrekord aller Fahrzeuge ausfgestellt.

3. Sichere Lagerung von komprimiertem Wasserstoff im Auto mit einem Risiko, das nicht größer als das heutige des Benzintanks ist.

4. Herstellung des Wasserstoffs oder Stroms aus Sonnenlicht mit weit höherer Energie-Ausbeute als bei Photovoltaik-Anlagen der ersten Generation.

5. Der reine Elektro-Antrieb, der seinem Strom aus Batterien bezieht – Solche Omnibusse fahen bereits in vielen Städten der Welt.

6. Das Hybrid-Modell Benzin/Elektro, siehe Toyota Prius.

7. Die Verwendung von Erdgas als Kraftstoff in normalen Benzin-Motoren – hiervon gibt es ebenfalls schon viele Millionen funktionierende Autos, die heute noch alle von Benzin auf Gas und umgekehrt hin- und hergeschaltet werden können.

8. Wie oben schon dargelegt, die Verwendung von Alkohol aus Pflanzen in Benzin-Autos mit leichter Anpassung, wobei es heute auch schon die Version gibt, in der Benzin und Alkohol in jeder beliebigen Mischung verwendet werden können (dazu unten noch mehr).

9. Die Gewinnung von Alkohol als Kraftstoff aus Pflanzenabfällen, Holzschnitzeln, bzw. Schilf oder anderer Biomasse, letzteres ein VW-Projekt (SunFuel) von der IAA 2001, von dem man seitdem nichts mehr gehört hat.

10. Die Gewinnung von Benzin und/oder Diesel aus Pflanzenabfällen und aus Klärschlamm (der heute unter höchster Umweltbelastung deponiert oder verbrannt wird).

11. Die Gewinnung von Benzin/Diesel/Schmierölen aus Kunststoffabfällen (die heute unter höchster Umweltbelastung verbrannt werden).

12. Benzin/Diesel kann auch aus Kohle gewonnen werden, wie das faschistische Deutschland in mehreren großen Anlagen bewiesen hat (Fischer-Tropsch-Synthese).

13. Bio-Diesel, wie er in Deutschland heute schon selbstverständlich ist, also chemisch umgewandelte (umgeesterte) Pflanzenöle, seien sie auf Basis von Rapsöl, Rizinusöl oder Sojaöl oder auch von Frittierabfällen.

14. Neue Dieselmotoren, die Pflanzenöle direkt in Bewegung umsetzen können, also ohne den Umweg über die Methyl- oder Ethylester.

Daneben gibt es weitere interessante Entwicklungen, wie z.B. die Lagerung von Wasserstoff in Nano-Röhren und vieles andere.

Im Kern geht es bei allen diesen Entwicklungen um drei Hauptprobleme und zwei Nebenprobleme, die mit diesen Alternativen gelöst werden können, seien es eines davon, zwei, drei oder alle.

Die Hauptprobleme sind:

1. Treibhauseffekt: Die Anreicherung der Atmosphäre mit Kohlendioxid (Treibhausgas), das u. a. bei der Verbrennung von fossilen Kraftstoffen (z.B. Benzin, Diesel, Erdgas) entsteht.

Erdöl

2. Die Umweltverschmutzung durch die Abgase, die zu 'saurem Regen' aufgrund von Schwefeldioxid, NOx-Belastung der Luft, Ozonbelastung der Luft und Feinstaub in der Luft führen.

3. Fossile Brennstoffe: Die Verwendung des endlichen Rohstoffs Erdöl als Ausgangsstoff der Kraftstoffe und anderen Brennstoffe, was die Verschwendung eines hochwertigen und unwiederbringlichen Rohstoffes bedeutet (abgesehen davon, daß man eventuell schon bald sowieso davon Abschied nehmen muß, weil er zu teuer wird).

Als viertes, weniger grundsätzliches Problem, das allerdings in Deutschland dringend ist, stellt sich die Außenhandelsbilanz eines Landes dar, das Erdöl bzw. Erdölprodukte in hohem Maß einführen muß und dafür Devisen erwirtschaften und bereitstellen muß (das betrifft vor allem die USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Italien sowie eine Reihe anderer Staaten).

Schließlich gibt es noch ein Fünftes, sehr spezielles Problem in der EU und den USA: Der Agrarmarkt. Um die Landwirtschaft nicht völlig aussterben zu lassen, werden landwirtschaftliche Produkte subventioniert, d.h. zu Preisen aufgekauft, die über dem Weltmarktniveau liegen, was riesige Summen an Steuergeldern verschlingt und gleichzeitig die Entwicklungsländer mit ihren Agrarprodukten aussperrt. Würde die Landwirtschaft stattdessen mit dem Anbau nachwachsender Rohstoffe für Kraftstoffe beschäftigt, könnten die Haushalte dieser Länder in ungeahntem Maße entlastet und gleichzeitig den Entwicklungsländern faire Absatzchancen gegeben werden.

Die weitestgehende Problemlösung (die allerdings auch noch weit am Horizont steht) läßt sich mit der Verwendung von Wasserstoff als Kraftstoff erreichen, wenn er aus Sonnenlicht gewonnen wird. Aus dem Auspuff eines Wasserstoff-Motors oder einer Brennstoff-Zelle kommt nur Wasserdampf und man wäre von den fossilen Kraftstoffen weg. Alle drei Hauptprobleme wären gelöst (die beiden Nebenprobleme wären dann sowieso nicht mehr so wichtig).

Üblicherweise wird hierzu davon gesprochen, daß man mit der Belegung von 5% der Fläche der Sahara mit Sonnenlicht einfangenden Zellen oder Spiegeln den gesamten benötigten (Wasserstoff-)Kraftstoff der Menschheit gewinnen könnte. Aber es gibt auf allen Kontinenten Wüsten bzw. sonnendurchflutete, weitgehend unbewohnte Gegenden, so daß man gar nicht so viel von der Sahara beanspruchen müßte.

Diese weitestgehende Lösung braucht nicht unbedingt über den Wasserstoff zu laufen, es könnten auch direkt der Strom in Batterien gespeichert werden und dann die Fahrzeuge mit Batterien betrieben werden.

Die Lösung mit der Verbrennung von Erdgas löst im Kern nur das Problem der Luftverschmutzung, und auch das nur teilweise - ist also nicht zukunftsträchtig.

Die Verwendung von Alkohol aus Pflanzen löst zwei der drei Hauptprobleme (Treibhauseffekt und fossile Brennstoffe) und teilweise das dritte, die Luftverschmutzung. Es hätte den Vorteil, daß es für uns in Europa auch noch die beiden Nebenprobleme löst. Abgesehen von einer gewissen (wenn auch deutlich geringeren) Luftverschmutzung ist dies also die Problemlösung mit dem weitesten Nutzen bei gleichzeitig minimalem Umrüstungsaufwand. Das gleiche gilt, wenn der Alkohol aus Pflanzenabfällen oder Biomasse gewonnen wird oder wenn Flüssigkeiten ähnlich dem Benzin oder Diesel (aber weit reiner) aus solchen pflanzlichen Quellen hergestellt werden.

Synthesis Hochspannungsleitungen-Verbund

Auch Biodiesel (und - mit Einschränkungen - die Verwendung der Dieselmotoren, die Pflanzenöle direkt verbrennen können), haben diesen gleichen Effekt: Sie lösen die Probleme Treibhauseffekt und fossile Brennstoffe, z.T. das Problem Luftverschmutzung und lösen auch beide Nebenprobleme: Gleich weiter Nutzen wie der Alkohol. Im übrigen soll auf Biodiesel hier nicht weiter eingegangen werden, um beim Thema zu bleiben.

[Hinweis: In der Reihe von Artikeln von Karl Weiss unter dem Namen "Der Alkohol-Boom hat begonnen" wird auch ausführlich auf Bio-Diesel eingegangen.]

Wird Alkohol oder werden ähnliche Flüssigkeiten wie Benzin oder Diesel aus Kunststoffabfällen oder Klärschlamm gewonnen, hat man allerdings nicht mehr oder nicht mehr vollständig den Effekt der Vermeidung des Treibhausgaserzeugung, jedoch kann der Vorteil der Vermeidung anderweitiger Luftverschmutzung dies mehr als aufwiegen. Speziell bieten sich diese Methoden an, wenn der Anbau nicht vollständig den Bedarf an Kraftstoffen deckt.

Das reine Elektroauto hat nur Sinn, wenn der Strom nicht vorher aus fossilen Brennstoffen oder aus gefährlichen und nicht endenwollend strahlende Abfälle hinterlassenden Atomkraftwerken gewonnen wird. Die Wasserstoff-Lösung sieht da im Moment vielversprechender aus, zumal die Batterien bis jetzt noch nicht allen Ansprüchen genügen.

Das Hybrid-Auto wie der Toyota Prius besitzt dagegen nicht einen der Vorteile. Er kann nur den Benzinverbrauch drücken, was immerhin auch schon etwas ist, aber im Vergleich doch wenig.

Daß die Gewinnung von Benzin/Diesel aus Kohle auch keinen Vorteil bringt, liegt auf der Hand (Kohle ist ja nur eine andere Art fossiler Rohstoffe als Erdöl).

Zur Gewinnung von Wasserstoff aus Sonnenlicht gibt es jetzt noch ein weiteres Verfahren, wie man aus einer Meldung vom 5. August erfahren konnte:

„Den Chemikern war schon lange bekannt, dass manche Metalle wie etwa Zink Wasser spalten können. Gescheitert sind diese Versuche meist daran, daß Zink stets zu unrein war. Zur Herstellung von reinem Zink war eine Reihe von chemischen Prozeduren erforderlich. Diese machten den Einsatz von Säuren und großen Mengen Strom erforderlich. Die israelischen Forscher [des Weizmann Institute of Science] haben nun einen besseren Weg gefunden: 64 sieben Meter hohe Spiegel fokussieren einen Lichtstrahl auf einen Turm mit Zinkoxid und Holzkohle. Der Strahl mit einer Leistung von 300 Kilowatt heizt den Reaktor auf bis zu 1.200 Grad Celsius an und schafft die Herstellung von bis zu 50 Kilogramm Zink pro Stunde.“

Jetzt hat uns eine Schweizer Zeitung allerdings aufgeklärt, daß die Idee aus der Schweiz von der ETH Zürich stammt. Das Weizmann-Institut hat lediglich seinen „Sonnenofen“ zur Verfügung gestellt, um die Erfindung zu testen. „Der von (... ) ETH entwickelte Solarreaktor ist vereinfacht gesagt ein grosser Behälter mit einer Fensteröffnung und einem «Abgasrohr». Der Reaktor wird vor Sonnenaufgang mit einem Gemisch aus Zinkoxid-Pulver und Kohle beschickt. Durch das Quarzfenster tritt die konzentrierte Solarstrahlung in den Reaktor und erhitzt ihn. Bei Temperaturen von 1200 Grad reagiert Zinkoxid und Kohle zu Kohlenmonoxid und gasförmigem Zink. Das Gasgemisch wird über ein Rohr aus dem Reaktor abgeführt und so abgekühlt, daß das Zink zu einem Pulver auskondensiert. Am nächsten Morgen wird der Reaktor wieder neu beladen."

Was so einfach tönt, stellt in der Detailumsetzung einige Herausforderungen.

«Um eine möglichst hohe Effizienz zu erreichen, darf nur wenig Solarwärme verloren gehen», erklärt Christian Wieckert (...). Die Forscher mußten die Geometrie des Reaktors so optimieren, daß viel Solarstrahlung eintritt, aber möglichst wenig wieder zurückstrahlt. Zentral ist auch, daß das Zinkoxid möglichst vollständig zu Zink reagiert. Das Mischungsverhältnis zwischen Kohle und Zinkoxid ist dabei entscheidend. (...) Die am Reaktorfenster eintreffende Strahlung ist etwa 2000-mal stärker als die direkte Sonne.

Nach den ersten Testläufen des Reaktors zieht Christian Wieckert eine positive Bilanz: «Etwa 30 Prozent der in den Reaktor einfallenden Sonnenenergie werden für die chemische Umsetzung genutzt.» Größere industrielle Anlagen dürften eine Effizienz von 50 bis 60 Prozent erreichen. Werden die angestrebten Wirkungsgrade erreicht, hat die Technologie ein großes Potenzial: Eine Landfläche von schätzungsweise drei mal vier Kilometer müßte mit Heliostaten ausgestattet werden, um mit Hilfe des Zinkkreislaufes genügend Wasserstoff für eine Million Brennstoffzellen-Autos zu produzieren.

Ethanol- und Zuckerfabrik in Brasilien

In unseren Breitengraden ist die Sonneneinstrahlung allerdings zu gering für ein großes solarchemisches Kraftwerk. Offen ist die Frage, wie die Energie aus künftigen Solarreaktoren in Israel, der Sahara oder Südspanien zu uns gelangen könnte. Macht es Sinn, Zink zu transportieren und dezentral Wasserstoff oder Strom zu produzieren? Oder soll man den Wasserstoff oder den Strom transportieren? In einer laufenden Studie wollen die (...) Forscher Antworten liefern.“

Sind wir zunächst von Brasilien ausgegangen und haben uns dann den alternativen Antriebssystemen und Kraftstoffen zugewandt, so kommen wir nun wieder auf Brasilien zurück.

Im Jahr 2003 nämlich verkündeten die vier großen Autobauer in Brasilien, VW, GM (Chevrolet), Fiat und Ford überraschend, sie würden Projekte verfolgen, die auf Autos zielen, die Alkohol oder jede Mischung von Benzin und Alkohol per Einspritzung und mit angepaßten Motoren verwerten können (jetzt hat auch Toyota entsprechende Autos angekündigt). Es waren Bosch und Magnet Marelli, die entsprechende Einspritzanlagen konstruierten. Im Verlauf von 2004 kamen bei allen vier die ersten Fahrzeuge auf den Markt, die mit den Mischungen dieser Kraftstoffe in jedem Verhältnis fahren können.

[Anmerkung vom Oktober 2006: Inzwischen gibt es auch "Flex-Fuel-Autos" von Toyota, Peugeot, Renault und Honda in Brasilien.]

Die Nachfrage war zunächst nicht riesig. Das lag aber daran, daß es diese Ausrüstung zunächst nur für Fahrzeuge gab, die für brasilianische Verhältnisse relativ großkalibrig waren, das war der 'Palio' mit 1,6-Liter-Motor bei Fiat, der 'Escort' oder 'Focus' mit 1,6-Liter-Motor bei Ford, der 'Gol' und 'Fox' mit 1,6-Liter-Motor bei VW und der 'Corsa' und ein neues Fahrzeug mit Namen 'Meriva' der gleichen Motorgröße bei GM-Chevrolet.

Wie sich jeder vorstellen kann, kann sich in Brasilien nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Autos leisten. Davon wiederum müssen sich die weitaus meisten für die kleinsten verfügbaren Ausführungen entscheiden, das sind jene mit einem 1,0-Liter-Motor, die von der Regierung mit Steuervorteilen unterstützt werden, um den Fahrzeugabsatz anzukurbeln. Etwa 65% der in Brasilien verkauften Autos sind mit 1,0-Liter-Motoren ausgerüstet. Auch der Autor fährt ein solches Auto mit 1,0-Liter-Motor.

Erst Anfang 2005 begannen alle vier großen brasilianischen Auto-Firmen, auch die 1,0-Liter-Autos wahlweise mit dem Misch-Alkohol-Motor auszustatten. Jede der Firmen hatte dafür einen eigenen Namen gefunden. Bei Fiat heißt er einfach ‚flex’, bei VW ‚total-flex’, bei GM-Chevrolet ‚flex-power’ usw. Toyota hat seine Entwicklung als ‚Flexible-Fuel-Vehicle’ angekündigt.

Seitdem stiegen die Verkäufe dieser ‚flex’-Fahrzeuge innerhalb der ganzen Autoverkäufe kontinuierlich an. ‚Reine Alkoholiker’ gibt es jetzt natürlich überhaupt nicht mehr als Neuwagen (aber immer noch viele als gebrauchte). Im Mai schließlich stiegen die Verkäufe der Flex-Autos auf über 50% aller verkauften Autos. Dieser Trend wird sich aller Voraussicht nach fortsetzen, denn nun spricht sich langsam herum, daß die ‚Flex’, mit Alkohol betrieben, keineswegs mehr den höheren Verbrauch haben wie die früheren Alkohol-Gefährte und man damit einen recht beachtlichen Preisvorteil hat, vor allem, wenn man viel fährt.

Wahrscheinlich wird sich die Rate wieder bei den 70 bis 75% der verkauften Fahrzeuge festsetzen. Inzwischen haben auch schon die Gebrauchtwagenpreise der alten ‚Alkoholiker’ angezogen. Heute muß man bei einem Basismodell, z.B. des Fiat Palio mit 1-Liter-Motor und ‚Flex’-Austattung etwa 500 Reais (weniger als 200 Euro) mehr bezahlen beim Kauf als beim Benzin-Modell– das hat man schnell wieder raus.

[Anmerkung von Oktober 2006: Inzwischen hat sich der Anteil der "Flex-Fuel"-Fahrzeuge in Brasilien bereits bei über 75% festgesetzt und VW hat angekündigt, in Brasilien ab Anfang 2007 überhaupt nur noch diese Versionen seiner Fahrzeuge herzustellen - die anderen dürften nachziehen. Alle Flex-Fuel-Autos werden bereits zu gleichen Preisen wie die reinen Benzin-Modelle angeboten.]

Damit sind wir denn auch schon bei der Frage der Preise, die den Autofahrer vordergründig natürlich mehr interessiert als die Frage der Umweltverträglichkeit. Erfahrungsgemäß setzen sich umweltverträgliche Neuigkeiten nur durch, wenn sie nur gleich teuer sind oder besser billiger, sonst bleiben sie beschränkt auf eine kleine Minderheit.

Treibstoffpreise Brasilien Juli 08

Treibstoffpreise Brasilien
Hier die Preise für Benzin (Gasolina) und Alkohol (Alcool) an einer Billig-Tankstelle im Grossraum Belo Horizonteim Juli 2008 (oberes Bild) und im Juli 2007 (unteres Bild)

Unsere Recherchen haben im August 2005 in Brasilien folgende Ergebnisse über die Preise gebracht: Benzin kostet in Brasilien etwa zwischen 2,05 und 2,30 Reais pro Liter, das sind in etwa 70 bis 80 (Euro-)Cents. Alkohol kostet im Bundesstaat São Paulo zwischen 0,85 und 1,05 Reais (29 bis 36 Cents) und in anderen Bundesstaaten im Bereich von 1,10 bis 1,35 Reais (38 bis 47 Cents). Zum einen zeigen diese Zahlen, daß es in Brasilien keine Öko-Steuer gibt (die in Deutschland für alles andere außer ökologischen Zwecken verwendet wird). Zum anderen zeigen sie, daß für den Alkohol weniger Steuern gezahlt werden muß als für das Benzin. Und drittens schließlich zeigen sie, daß der Vorteil des geringeren Kraftstoff-Preises für den Alkohol so gravierend ist, daß der plötzliche Erfolg leicht erklärlich ist.

Allerdings gibt es in Brasilien – so wie auch in Deutschland – auch noch eine andere Alternative, das ist das Erdgas. Man kann für etwa 2000 Reais (etwa 670 Euro) sein Benzin-Auto mit einem zusätzlichen Hochdruck-Tank für Erdgas sowie den sonstigen Geräten versehen lassen, die es ermöglichen, wahlweise mit Erdgas oder Benzin zu fahren.

Ein üblicher Tank von (komprimierten) 16 bis 17 Kubikmeter reicht für etwa 200 bis 250 Kilometer, das ergibt in etwa den Km-Inhalt eines Kubikmeters als äquivalent zu 1,5 Litern Benzin. Also ein deutlich kleinerer Radius bis zum nächsten Tankstop, aber der Preisvorteil ist gewaltig. Der Kubikmeter Erdgas kostet an den Tankstellen in Brasilien um 1 Real, also etwa 34 Cent. Das ist also noch viel billiger als mit Alkohol. Dazu hat die brasilianische Regierung einen zusätzlichen Anreiz beschlossen, diese Umformung in ein Gas-Fahrzeug durchführen zu lassen: Man zahlt nur 25% der KFZ-Steuer für diese Fahrzeuge.

Allein damit hat man bei einem Neuwagen nach drei Jahren die Kosten für die Umstellung meist wieder herausbekommen.

Da Erdgas ja nun keineswegs die Umweltvorteile wie der Alkohol hat, ist es zumindest etwas verwunderlich, daß ausgerechnet in dem Land, das die Alkoholautos ‚erfunden’ hat, die Erdgas-Autos so sehr gefördert werden, aber warum sollte man von brasilianischen Politikern mehr Vernunft erwarten als von Deutschen?

[Anmerkung vom September 2008: Inzwischen ist der grosse Preisvorteil von Naturgas für Autos bereits nicht mehr vorhanden. Das Naturgas kam aus Bolivien, doch dort ist inzwischen Evo Morales am Ruder und hat die Gaspreise deutllich erhöht. Damit ist heute, bei Preisen um 1,50 Reais pro Kubikmeter, die Verwendung von verflüssigtem Erdgas für den Auto-Antrieb nicht mehr sehr attraktiv, denn man muss ja den Nachteil der geringeren Reichweite mit einrechnen. Gas wird heute in Brasilien hauptsächlich noch für Taxis verwendet.]

In Deutschland ist, wie jeder weiß, bis heute noch kein Alkohol-Programm gestartet worden, obwohl dies das naheliegendste von allem wäre.

Auch für die USA wäre ein Alkohol-Programm äußerst naheliegend. Hierzu gibt es einen Artikel in der New York Times vom 5. August 2005 von T.L. Friedmann über das neue Energie-Gesetz unter der Überschrift „Too much pork and too little sugar“, in dem er unter anderem schreibt:

“Many technologies that could make a difference are already here - from hybrid engines to ethanol. All that is needed is a gasoline tax of $2 a gallon to get consumers and Detroit to change their behavior and adopt them. (…) "During the 1973 Arab oil embargo Brazil was importing almost 80 percent of its fuel supply," notes Mr. Luft, director of the Institute for the Analysis of Global Security. "Within three decades it cut its dependence by more than half. ... During that period the Brazilians invested massively in a sugar-based ethanol industry to the degree that about a third of the fuel they use in their vehicles is domestically grown. They also created a fleet that can accommodate this fuel." Half the new cars sold this year in Brazil will run on any combination of gasoline and ethanol. "Bringing hydrocarbons and carbohydrates to live happily together in the same fuel tank," he added, "has not only made Brazil close to energy independence, but has also insulated the Brazilian economy from the harming impact of the current spike in oil prices." The new energy bill includes support for corn-based ethanol, but, bowing to the dictates of the U.S. corn and sugar lobbies (which oppose sugar imports), it ignores Brazilian-style sugar-based ethanol, even though it takes much less energy to make and produces more energy than corn-based ethanol. We are ready to import oil from Saudi Arabia but not sugar from Brazil.”

“Viele Technologien, die einen Fortschritt bedeuten können, sind bereits vorhanden – von Hybrid-Motoren bis zum Ethanol. Was nötig ist, ist eine Steuer von 2 Dollar auf eine Gallone Benzin [eine Gallone sind etwa 4,2 Liter, er tritt also hier für so etwas wie eine Öko-Steuer ein], um die Verbraucher und [die Automobilkonzerne in] Detroit dazu zu bekommen, ihre Gewohnheiten zu ändern und sie [diese Technologien] zu gebrauchen.... „Während des arabischen Ölembargo 1973 muß Brasilien fast 80% seines Kraftstoffes einführen.“ stellt Herr Luft, Direktor des ‚Instituts für Analysen der weltweiten Sicherheit’ fest. „Innerhalb von drei Jahrzehnten hat es seine Importabhängigkeit auf mehr als die Hälfte verringert. ... Während dieser Zeit hat Brasilien so massiv in eine Alkohol-Industrie auf der Basis von Zucker investiert, daß etwa ein Drittel des jetzigen Kraftstoff-Bedarfes im Land gepflanzt ist. Man hat auch eine Flotte von Autos geschaffen, die diesen Kraftstoff verwerten können.“ Die Hälfte der neuen Autos in diesem Jahr in Brasilien werden mit jeder Mischung von Benzin und Alkohol fahren können. “Die Kohlenwasserstoffe und die Carbohydrate zu einer fröhlichen Zusammenarbeit im Benzintank zu bringen,“so fügte er hinzu, “hat Brasilien nicht nur nahe an die Energie-Autarkie gebracht, sondern auch die brasilianische Wirtschaft immun gemacht gegen die momentanen Erhöhungen der Erdölpreise.“ Das neue Energie-Gesetz schließt eine Unterstützung für Alkohol auf der Basis von Mais ein, aber es hat sich dem Diktat der Zucker- und Mais-Industrie gebeugt (die Zucker-Importe ablehnen) und ignoriert Alkohol auf Zucker-Basis wie in Brasilien, obwohl dies Verfahren viel weniger Energie verbraucht und mehr Energie produziert als Alkohol auf Mais-Basis. Wir importieren laufend Erdöl aus Saudi-Arabien, aber keinen Zucker aus Brasilien.“

Was die brasilianischen Zucker- und Alkohol-Produzenten angeht, so haben die bereits verlauten lassen, daß sie die Zucker- und Alkohol-Produktion noch gewaltig steigern können, wenn dies notwendig sein sollte. Die Zuckerexporte Brasiliens sind fast zum Erliegen gekommen. Die EU und die USA lassen praktisch keinen Zucker herein, bis auf ein paar Alibi-Tonnen. Der Weltmarktpreis ist im Keller. Zu diesem Preis lohnt es sich für die Großgrundbesitzer fast nicht, überhaupt anzubauen. So wird fast nur für den Alkohol und den internen Markt produziert. Alkohol wird zwar in ansehnlichen Mengen exportiert und der heimische Konsum steigt zusammen mit der Zahl der Flex-Mobile, aber es sind immer noch einige der Alkohol-Fabriken aus der Zeit des Alkohol-Booms Ende der 80er-Jahre eingemottet. Außerdem kann man solche Fabriken von der Stange kaufen. Sie sind innerhalb weniger Monate schlüsselfertig.

Die brasilianischen Zucker- und Alkoholproduzenten heben dabei besonders hervor, daß sie die Energie zur Herstellung von Zucker und Alkohol aus angeschlossenen Kleinkraftwerken beziehen, in denen die ausgepreßten Reste des Zuckerrohrs verbrannt werden. Die Mengen sind so groß, daß die gesamte benötigte Energie so gewonnen werden kann. Auch bei diesem Verbrennungsprozeß wird der Kohlendioxid-Gehalt der Luft ja nicht erhöht, denn jedes dabei freiwerdende Kohlenstoff-Atom in einem CO2 – Molekül ist ja vorher beim Wachsen des Zuckerrohrs aus einem CO2 – Molekül der Luft gebildet worden.

Laut einer Mitteilung der brasilianischen Bundesregierung wird im Jahr 2006 die Autarkie Brasiliens in Bezug auf Erdöl erwartet, d.h. daß sich die Im- und Exporte von Erdöl und Erdölprodukten die Waage halten werden (im Wert). Damit wird Brasilien dann zu den wenigen Ländern auf der Erde gehören, die nicht von Erdölimporten abhängig sind und sogar beginnen, von den hohen Erdölpreisen beim Export zu profitieren.

Dies ist zunächst darauf zurückzuführen, daß die Brasilianer so stur waren, einfach nicht einer US-Fachfirma zu glauben, die es der brasilianischen Regierung in den Fünfziger-Jahren nach jahrlanger Suche schriftlich gegeben hatte, daß es auf brasilianischen Grund kein Erdöl gäbe. Man suchte weiter und fand schließlich, hauptsächlich draußen im Atlantik auf dem Festlandssockel, große Erdöl- und Gasvorkommen. Die waren aber in Wassertiefen, in denen bis dahin eine Förderung nicht möglich war. Die brasilianische Staatsfirma Petrobras entwickelte daraufhin neue Verfahren, die eine Bohrung und Förderung in großen Wassertiefen ermöglichten (ganz im Gegensatz zu allen Geschichten, die man uns über staatliche Firmen erzählt).

Logo Petrobras

Bis heute sind brasilianische Ingenieure weltweit führend in der Erdölförderung bei großen Wassertiefen. Die Petrobras hat eine eigene Firma, die dieses Know-How anderen Interessenten anbietet und verkauft. Im Moment sind gerade drei neue schwimmende Plattformen in Werften in Niteroi am werden, einer Stadt gegenüber Rio de Janeiro auf der anderen Seite der Guanabara-Bucht gelegen. In wenigen Jahren will man zu einem bedeutenden Erdölexporteur werden.

Der zweite Grund aber, daß man so schnell die Autarkie erreichen wird, ist das Alkohol-Programm. Da Brasilien so gut wie kein Erdöl zu Zwecken der Stromerzeugung oder der Erzeugung von Heizöl einführen muß – Strom wird fast ausschließlich aus Wasserkraft und Atomkraftwerken gewonnen und Heizungen gibt es in brasilianischen Häusern so gut wie nicht (wenn nötig, muß man sich mit Elektrostrahlern behelfen) - , ist die Herstellung von Diesel und Benzin der wesentliche Grund für die Einfuhr von Erdöl. Da macht natürlich der Ersatz von Benzin durch Alkohol viel aus.

Die EU könnte sofort mit einem Alkohol-Programm beginnen (man könnte ja Alkohol aus Brasilien einführen) und dann in aller Ruhe eine EU-Alkohol-Agrarpolitik vorbereiten, aber weit gefehlt. Eher steigen die sieben Reiter des jüngsten Gerichts herab. Die Erdöl-Riesen und die EU-Kommission, das ist fast eins.

Wer nun mit einem Alkohol-Programm begann, ist Schweden, eines der wenigen europäischen Länder außerhalb der EU. Man ist bereits dabei, ein Alkohol-Tankstellennetz aufzubauen. In Schweden sind schon Flex-Fahrzeuge zu kaufen.

Saab hat seinen 9-5 FFV BioPower vorgestellt. Ein kleiner Teil aus einem Testbericht dieses Autos:„Schweden eifert Brasilien nach und bringt den Saab 9-5 als BioPower-Version nun auch in unsere Breiten. (...) Der in Schweden angebotene Kraftstoff besteht zu 85 Prozent aus Äthanol und zu 15 Prozent aus Benzin. (...)Angetrieben wird der etablierte Schwede von einem Zweiliter-Vierzylinder mit der bekannten Turboaufladung. Der Motor ist wahlweise mit Äthanol oder Benzin zu betreiben. (...) Je nach Kraftstoff variiert jedoch die Leistung. Verfügt der Turbo bei Benzinbetankung über die üblichen 110 kW / 150 PS, so gibt es mit der hochkonzentrierten Tankfüllung Alkohol 132 kW / 180 PS. Die Fahrleistung sind entsprechend höher: 0 auf 100 km/h in 8,5 Sekunden und ein maximales Drehmoment von 280 Nm liegen über den Benzinerwerten. (...)Durch die höhere Oktanzahl (104 ROZ) kann der Motor den Kraftstoff effizienter verbrennen. Ein früherer Zündzeitpunkt und eine erhöhte Verbrennungstemperatur machen es möglich. „Unsere Motorsteuerung paßt sich automatisch dem gerade verwendeten Typ Kraftstoff an“, sagt Kjell Bergstörm, Präsident der Saab Automobil Powertrain AB. Zündzeitpunkt und Kraftstoff-Luft-Gemisch werden getrennt überwacht. (...)

Die Kosten halten sich im Rahmen. Der Preis des E85-Kraftstoffs liegt in Schweden rund 25 Prozent unter dem von bleifreiem Benzin. Die Verbräuche vergleichbarer Fahrzeuge liegen im Drittelmix und in der Stadt auf dem gleichen Niveau der handelsüblichen Modelle. Saab verspricht bei monotonem Tempo auf der Autobahn eine Ersparnis von rund 15 Prozent. Das Saab 9-5 FFV BioPower kostet im Kronenland knapp 900 Euro mehr als der handelsübliche Benziner. Zudem sind die Fahrzeuge steuerbefreit.“

Zum Jahreswechsel kündigte Saab auch die entsprechenden Varianten des kleineren Saab 9-3 an. Volvo hat ebenfalls Alkohol-Flex-Fahrzeuge angekündigt. Volvo bereitet nach Angaben der Konzernmutter Ford den Start von Ethanol-Versionen des V50 und des S40 in Schweden vor.

Auch Ford in Schweden hat bereits seine „Weingeist-Flotte“ vorgestellt. Hier kleine Ausschnitte aus einem Artikel über diese Fahrzeuge: „Ford wird den Focus und den C-Max Mitte August auch mit Ethanol-Antrieb ... ausliefern. (...)... wird es die Schräghecklimousine und den Kompaktvan dann mit einem 92 kW / 125 PS starken 1,8-Liter-Motor geben, der sowohl mit Superbenzin als auch mit Bio-Ethanol in nahezu allen Mischungsverhältnissen betrieben werden kann. (...)Die Preise für den Focus beginnen laut Ford bei 17.975 Euro; der C-Max wird mindestens 19.525 Euro kosten, was einem Aufpreis von jeweils 300 Euro entspricht. (...)... mindere Bio-Äthanol die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und werde überdies steuerlich gefördert.

Deshalb können Autofahrer mit diesem Kraftstoff laut Ford-Sprecher Isfried Hennen bis zu 20 Prozent Betriebskosten sparen. Bislang jedoch ist Äthanol in Deutschland nur vereinzelt verfügbar. Deshalb will Ford parallel zur Markteinführung nach Angaben von Umwelt- Vorstand Wolfgang Schneider auch auf den schnellen Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur hinarbeiten.“

Nun, da kann man ausnahmsweise mal einem Automobil-Konzern nur viel Erfolg wünschen. Der Ford-Sprecher kündigte an: „Wenn Ethanol in Deutschland zum Thema wird, dann stehen diese Autos ganz schnell auch bei uns im Showroom.“

So sehr – und mit soviel Grund – man Brasilien in vieler Hinsicht als rückständiges Land ansehen kann, so sehr muß man andererseits immer wieder zugeben, daß Brasilien in anderer Hinsicht plötzlich fortschrittlicher ist als unser ‚good old Germany’. Wir haben allen Anlaß, unser übliches Naserümpfen sein zu lassen und unser Denken neuen Ideen zu öffnen, auch und gerade wenn sie aus Ländern stammen, denen wir uns so überlegen vorkamen.


Hier stelle ich einen weiteren Brasilien-Artikel von Elmar Getto ein, der jetzt eine besondere Bedeutung gewonnen hat. Noch bevor der jetzige Alkohol-Boom losbrach, hat er hier die gesamten Grundlagen zusammenfassend dargelegt. Der erste Teil des Artikels erschien ursprünglich am 15. August 2005 in der 'Berliner Umschau', damals noch 'Rbi-aktuell', zwei andere Teile einige Tage später. Die drei Teile sind hier zusammengefaßt und vom Autor redigiert und aktualisiert.


Hier die Links zu allen Teilen der Reihe „Brasilien jenseits von Fussball und Samba“

- Teil 1: „Wie der Amazonas zu seinem Namen kam“

- Teil 2: ‚Menschenfresser-Country’

- Teil 3: „Ausgerottete Künstler“

- Teil 4: Niemeyer ist 100 – ‚Auf dem Höhepunkt des Schaffens’

- Teil 5: Brasilien und Gold

- Teil 6: Die Landschaften Brasiliens – Der Amazonas-Regenwald

- Teil 7: Brasilien und der Strom

- Teil 8: Die Landschaften Brasiliens – Mata Atlântica

- Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

- Teil 10: SIVAM – Big Brother in Amazonien

- Teil 11: Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

- Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

- Teil 13: Wie unsere Zukunft in der beginnenden kapitalistischen Barbarei aussähe – „Ich habe kein Leben“

Freitag, 5. September 2008

Frau Palin und der "Kinderschänder"

Sie repräsentiert die Rechtsaussen-Fundamental-Christen

Von Karl Weiss

Die in dieser Woche bestätigte Kandidatin der republikanischen Partei für die Vizepräsidentschaft, Sarah Palin, Repräsentantin der fundamentalistisch-extremistischen Christen in den USA, wurde plötzlich blind auf einem Auge, als ein offensichtlicher Fall von „Kinder-Schänden“ in der eigenen Familie geschah.

Bristol Palin und Levi Johnston
Hier sieht man das "glückliche" junge Paar, Bristol Palin und Levi Johnston, gepudert und geschminkt auf der Tribüne des Bundesparteitags der Republikaner, wo man die "gute" alte Regel "jetzt muss er sie heiraten" auch noch vor dem Millionenpublikum ausbreitet. Wieviele solcher Ehen halten, ist bekannt. Man sehe sich nur das Milchgesicht an, das in anderen Bundestaaten bereits im Gefängnis schmoren würde.

Palins siebzehnjährige Tochter Bristol ist im fünften Monat schwanger. Der Vater ist ein 18-jähriger, der sie bald heiraten will, mit Namen Levi Johnston. Soweit wäre dies eine banale Story, nicht des Erwähnens wert. Überall auf der Welt tun junge Leute, meist mit wenig Kenntnissen der Sexualität, miteinander Dinge, welche die Erwachsenen ihnen nicht in dieser Weise raten würden. Schließlich liegt das Niveau von Sexualhormonen im Körper in diesem Alter von 14 bis 18 Jahren besonders hoch und so ist die Zahl derer Legion, die Sex haben, ohne sich vor AIDS und Schwangerschaft zu schützen

So sagte denn auch der Kandidat der gegnerischen Partei, Obama, man solle diesen Fakt nicht einmal erwähnen. Tatsächlich wäre dies schlicht und einfach Privatsache jener Familie und niemand hätte da dreinzureden. Wäre, wenn.....

Wenn da nicht ein anderer Fakt wäre: Frau Palin ist erklärtermaßen die Kandidatin, die den Republikanern die Stimmen der fundamentalistischen Christen zutreiben soll, denn sie ist selbst eine dieser christlichen Extremisten. Und eben diese Christen mit dem Schaum vor dem Mund haben bereits in einer großen Zahl von Staaten der USA Gesetze durchgesetzt oder eingebracht, die aus moralischen Gründen ihre Ansichten zum Sex in jungen Jahren in massive Strafbewehrungen umsetzen.

Dabei spielt es keine Rolle, ob die Gouverneurin von Alaska mit jeder der absurden Meinungen jener Evangelikalen persönlich übereinstimmt oder solche Gesetze auch schon im eigenen Staat durch die Legislative gebracht hat oder nicht. Sie ist in ihrer Eigenschaft als Vize-Präsidentschaftskandidatin der Exponent des „Pit-Bull-Flügels“ der wild gewordenen Ultra-Rechts-Christen in den USA – kein Wunder, wenn sie sich selbst als Pit Bull bezeichnet.

So ist es denn auch charakteristisch, wie sie auf dem Parteitag der Republikaner auftrat: Nach der Rede wurden alle Kinder auf die Bühne geholt, einschliesslich der schwangeren Tochter und des Schwiegersohns in spe. Sie versucht damit, den Sex des Jung-Hengstes mit ihrer minderjährigen Tochter in einen positiven Fakt umzudrehen. Das könnte man ihr auch zugestehen, denn das machen fast alle Familien, die mit diesen Ereignissen konfrontiert werden: Es ist nun einmal geschehen, sehen wir nach vorne: Eine Hochzeit, eine neue Familie und viel Glück. Könnte, wenn...

Ja, wenn sie nicht die Repräsentantin der Absurditäten der rechten Extrem-Christen wäre.

Was sind die wesentlichen Inhalte der neuen Gesetze, die da aus dieser Ecke des rechten evangelischen Sekten-Spektrums in mehr und mehr Bundesstaaten bezüglich des Sex von jungen Leuten durchgesetzt werden (Der Begriff Sekten trifft nur aufgrund der ungewöhnlichen (vorsichtig ausgedrückt) Ansichten zu, nicht im Blick auf die Zahl der Adepten, die ist vielmehr Legion.)?

In allen diesen Bundestaaten wird die Definition „Kind“ auf alle bis zum 18. Lebensjahr ausgeweitet. Gleichzeitig werden „sexuelle Handlungen“ (in einigen Staaten nur „Penetration“ oder „Penetration in der Vagina“) mit diesen „Kindern“, also allen jungen Leuten bis 18, als „Kindsmisshandlung“, als angebliches „Kinderschänden“, eingestuft und entsprechend mit hohen Strafen belegt

Das klassische Beispiel dafür ist der seit vielen Jahren von Republikanern der christlich-extremistischen Spezies beherrschte Staat Georgia und die Verurteilung eines jungen Mannes, der mit seiner jungen Freundin (beide unter 18) Sex gemacht hat. Einzelheiten dazu in diesem Artikel: „Sex?? Gefängnis!!“. Der inzwischen bereits erwachsene Genarlow Wilson sitzt bereits seit mehr als zwei Jahren im Gefängnis und ist zu 10 Jahren verurteilt. Auch eine Aufhebung der Strafe hat bisher noch nicht zur Freilassung geführt. Siehe hierzu auch: „Sex unter 18? 10 Jahre Gefängnis!“

Hätte Frau Palin in ihrem Staat Alaska bereits entsprechende Gesetze durchgebracht, dann wäre der junge Levi nicht auf der Bühne eines Parteitags bejubelt worden, sondern sässe in einer Gefängniszelle und könnte ihre Tochter nicht heiraten (jedenfalls nicht, wenn die Mutter gewählt werden will), geschweige denn sich um das Kind kümmern, das da erwartet wird.

Frau Palin als Repräsentantin eben genau dieser Fraktion von Evangelikalen, die für solche Gesetze verantwortlich sind, „bemerkt“ plötzlich nicht mehr, dass hier etwas geschah, was man in ihren Kreisen als Verbrechen charakterisiert, nämlich „Kindsmissbrauch“ an ihrer Tochter, die ja noch keine 18 Jahre alt war, d.h. bis heute noch nicht ist. Ihr sonst so wacher christlicher Sündendetektor war irgendwie abgeschaltet, als es um das Verhältnis ihrer eigenen Tochter ging. Der junge „Kinderschänder“ ist plötzlich kein Verbrecher mehr, sondern ein willkommenes Mitglied der Familie? Das ist ein wenig dick aufgetragene Heuchelei, oder?

Obwohl diese Tatsachen in den USA ja allseits bekannt sind, bringt keine Sendeanstalt, keine Zeitung, kein Magazin diese Frage auf. Man will sich nicht mit den Millionen von „wiedergeborenen Christen“ anlegen noch mit der katholischen Kirche in den USA, die solche Gesetze in der Regel unterstützt. So absurd auch die haarsträubenden Gesetze sind, die da durchgebracht werden, es gibt keine öffentliche und sachliche Kritik.

Der Parteitagsauftritt von Frau Palin ist also nichts als Heuchelei. Die von ihr repräsentierte Bewegung in den USA zum Abschaffen aller Gesetze, die von der Aufklärung beeinflusst sind und zum Einführen von Gottesstaat-Gesetzen, besonders im Zusammenhang mit sexuellen Aktivitäten, ist ja so stark, dass sie es sogar geschafft hat, eine Unterorganisation der UN, die sich mit Kinder-Missbrauch beschäftigt, zum Verfassen von generelle Richtlinien genau im Sinne der Super-Moral-Christen zu bringen (auch ein Lehrstück über die UN als reines Sprachrohr der US-Regierung).

Diese Richtlinie wurde bereits von der EU aufgegriffen und hat zu einer EU-Richtlinie geführt, die von allen EU-Staaten verlangt, ebenfalls die Kernpunkte dieser Doppel-Moral einzuführen. In Italien ist ein entsprechendes Gesetz bereits Wirklichkeit. Fast wäre ein entsprechender Gesetzentwurf auch in Deutschland durchgegangen, in dem ebenfalls die Definition von „Kind“ für Alle bis 18 vorgesehen war. Siehe hierzu auch „Dossier Verschärfung Sexualstrafrecht, 1“, „Dossier Verschärfung Sexualstrafrecht, 2“ und „Hurra, sie haben es gestoppt“

Es ist also hier nicht die Rede von ein paar Spinnern, die in irgendwelchen abgelegenen und fast bevölkerungsfreien US-Bundesstaaten absurde Gesetze durchbringen, sondern um eine der mächtigsten politischen Strömungen in den Vereinigten Staaten und um angewandte Gesetze in extrem bevölkerungsreichen Bundestaaten wie Georgia und Michigan. Siehe zu Michigan auch diesen Artikel: „USA: Absurditäten des religiösen Extremismus“

Es handelt sich um eine UN-Richtlinie und um eine bindende EU-Richtlinie und in Italien auch bereits um eine Gesetz. Zweifellos hat Bush Junior als Präsident entscheidend mit zu diesen „Erfolgen“ der fanatisch-extremistischen Christen weltweit beigetragen, der ja selbst ein solcher „wiedergeborener“ Evangelikale ist.

Dabei kommt erschwerend hinzu: Wer in den USA einmal wegen irgendeinem Sexualvergehen verurteilt wurde, ist zeitlebens auf den Listen der „Sexual Offenders“, die es sowohl in vielen Staaten gibt als auch als Bundesregister. Aus diesen Listen kann jeder entnehmen, wie die Betroffenen heissen, wo sie wohnen und meistens ist auch ein Fahndungsfoto dabei. Auch Telefonnummern werden in einigen der Register angegeben. Um sich dem nicht entziehen zu können, müssen sich die „Sexual Offenders“ zeitlenens regelmässig melden und die jeweils aktuelle Wohnung angeben. Sie dürfen nicht in der Nähe von Plätzen wohnen, wo Kinder sind, wie Schulen, Kindergärten, Kinderspielpläte usw.

Dabei haben viele dieser „Sexual Offenders“ nichts anderes gemacht als Doktorspiele als Kinder, als Sex unter 18, als fremd zu gehen oder mit einer Frau aggressiv zu flirten. In Kürze werden auch, je nach Bundestaat, viele Homosexuelle unter ihnen sein. Im Moment versuchen die Fundamental-Christen in vielen Bundestaaten, den homosexuellen Geschlechtsverkehr wieder strafbar zu machen.

Um dieser Überwachung zu entgehen, flüchten viele der Registrierten und versuchen woanders und unter anderem Namen ein neues Leben aufzubauen. Die Lokal-Zeitungen und Lokal-Sender in den USA haben es sich zum Sport gemacht, solche versteckten „Sexual Offenders“ aufzuspüren und zu denunzieren.

Im Kern ist dies alles ein Angriff auf den einzigen Fortschritt, den der Kapitalismus wirklich gebracht hat: Die Werte der Aufklärung. Ihnen gegenüber wollen die Christen von Rechtsaussen ein generelles „Roll-Back“ durchsetzen, also weltweit alle Inhalte, Werte und Gesetze, die solche Werte der Aufklärung widerspiegeln, ersetzen durch solche, welche die heuchlerische Sexual-Moral der verklemmten extremistischen Christen ausdrücken. Dazu gehört die Strafbarkeit von Ehebruch, die Wiedereinführung der Strafbarkeit von Homosexualität, die völlige Verbot der Abtreibung, auch bei Lebensgefahr für die Mutter, auch bei Vergewaltigung, auch bei schweren Schäden der Leibesfrucht, das generelle Verbot jeglicher Nacktheit , das Verbot von Anal- und Oral-Sex, die Einstufung von Bildern oder Texten, der jemanden „aufreizen“ könnten, als verbotenes Porno usw usw.

Dabei unterhält man ausserdem geschlossene Anstalten, in denen jungen Männern und Frauen der Homosexualismus durch Folter ausgetrieben werden soll und andere für Kinder (Menschen bis 14), die bei irgendwelchen sexuellen Aktivitäten erwischt wurden

Interessant ist: Man wagt es nicht, diese Offensive mit Argumenten, offen und für alle sichtbar zu führen. Man versteckt sich hinter Organisationen wie der UN und der EU, man stellt sich als brave Familien-Personen dar – so wie Palin -, verschweigt aber, wie viele im Gefängnis sitzen wegen absurder Gesetze, für die man verantwortlich ist. Man weiss offenbar, würden diese Fragen offen diskutiert, würde die Absurdität jener Ansichten für alle sichtbar demaskiert. Also wird Versteck gespielt.

Auch in Deutschland hat keines der großen Medien diese Fragen angesichts der Kandidatur von Frau Palin aufgegriffen.

Wir werden uns also selbst darum kümmern müssen, dass unsere Kinder nicht demnächst als „Kinderschänder“ oder „Kinderporno-Produzenten“ angeklagt werden, wenn sie frühzeitig Sex machen oder ein paar Nacktfotos austauschen. Frau Palin, die den „Schänder“ ihrer Tochter mit offenen Armen in der Familie begrüsst, wäre dann sicherlich eine der Verantwortlichen.


Veröffentlicht am 5. September 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Donnerstag, 4. September 2008

Europa sinkt in diesem Moment in die Wirtschaftskrise

Deutschland ist unter den großen Ländern bereits am schlimmsten betroffen

Von Karl Weiss

Die Zahlen von Eurostat, veröffentlicht am 3. September, sind klar: Im zweiten Quartal sank das Bruttosozialprodukt (jetzt: „Brutto-Inlandseinkommen (BIE)“) der Euro-Zone um 0,2 % gegenüber der Zahl des vorherigen Quartals, von ganz Europa um 0,1% im gleichen Vergleichszeitraum. Damit tritt ein, was bereits vorausgesagt wurde: Auch die EU wird von der internationalen Wirtschaftskrise erfasst. Wird das dritte Quartal auch ein Minus ergeben, ist man auch formal in der Wirtschaftskrise, von den bürgerlichen Ökonomen schamhaft Rezession genannt.

Northern Rock Pleite


Wie bereits in diesem Artikel veröffentlicht, befinden sich Spanien, Irland und Dänemark bereits offiziell in der Wirtschaftskrise, doch die anderen Länder Europas und der EU hatten bisher noch ein geringes Wachstum aufzuweisen. Jetzt aber sinkt dieses übrig gebliebene Wachstum schnell und die ersten Länder haben bereits (für ein Quartal) den Rubikon überschritten und stehen im Minus. Die offizielle Definition der Wirtschaftskrise ist: Zwei aufeinanderfolgende Quartale im Minus beim Gross-Domestic Product (BIE), dem international verwendeten Vergleichsmaßtab, im Vergleich zum vorhergehenden Quartal

Die nun veröffentlichten Zahlen (das sind alles Schätzungen) für einzelne Länder in Europa sind (2. Quartal gegenüber 1. Quartal): Estland: - 0,9%, Deutschland und Lettland: - 0,5%, Frankreich und Italien: - 0,3%. Bei +/- 0 lagen Vereinigtes Königreich, Schweden und Niederlande. Ein deutliches Plus weisen nur noch die Slowakei (+ 1,9%), Polen (1,5%) und Tschechien sowie Litauen mit je 0,9% auf.

Zwar ist Europa als Ganzes im Jahresvergleich immer noch im positiven Bereich (Eurozone: 0,7%, EU: 0,6%), aber auch diese Zahlen sinken schnell, wenn man erst einmal in der Wirtschaftskrise ist (in diesem Quartal gab es bei beiden betrachteten Ländergruppen bereits ein Minus von 0,7 Prozentpunkten gegenüber den vorherigen Zahlen).

Übrigens rutscht auch Japan im Moment in die Krise: - 0,5% im Vergleich zum vorherigen Quartal.

Nach diesen Zahlen wird also Deutschland gegen Ende des Jahres, wenn die Zahlen des dritten Quartals veröffentlicht werden, sogar eines der ersten Länder sein, das offiziell in die Wirtschaftskrise eintritt – und vor allem: Das erste der großen EU-Länder.

Das Schönreden, die Beschwörung des Aufschwungs, die Statistikmanipulationen bei den Arbeitslosenzahlen von Frau Merkel und der ganzen grossen Koalition helfen also nicht (was auch nicht schwer vorauszusagen war): Der Export, das letzte Faden, an dem die deutsche Wirtschaft noch hing, nachdem der Inlandskonsum bereits vorher in die Miesen abrutschte, bricht in diesem Moment mit zweistelligen Minus-Raten ein.

Nun wird sich rächen, das man ausgerechnet in dieser Situation vor der Wirtschaftskrise den Inlandskonsum mit aller Macht abgewürgt hat: Millionen von Bundesbürgern wurde in prekäre Arbeit gezwungen, die einen Lohn aufweist, der nicht zum Leben reicht. Hartz IV ist das Schicksal von über 6 Millionen Deutschen.

Speziell die Familien mit Kindern und alleinerziehende Mütter werden zwanghaft in die Armut getrieben. Man braucht nur einmal den Andrang bei einer der „Tafeln“ ansehen. Frau Merkel und Herr Beck haben Riesenmengen von Geld aus der normalen Bevölkerung herausgepresst und an die Grosskonzerne ausgeschüttet.

Dazu kam die härteste Steuererhöhung für den kleinen Mann (Erhöhung der Mehwertsteyuer, die speziell die niedrig Besoldeten trifft, um etwa 20%, höchste Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik) bei gleichzeitigen Steuerkürzungen für Grosskonzerne und für Reiche.

Und – bemerkenswert, wie schlau dies Politiker-Gesindel auch noch ist - man hat die Bundestagswahlen und den Moment des grössten Impakts der Krise genau auf den gleichen Zeitpunkt gelegt: 2.Hälfte 2009. Herzlichen Glückwunsch für ihr Näschen, Frau Merkel und meine Herren Politiker! Der verdiente Lohn ist Ihnen sicher!

So erklärt sich denn auch, warum der Euro seinen Höhenflug gegen den Dollar unterbrochen hat und am gleichen Tag dieser Meldung mit dem Unterschreiten von 1,44 US-$ den niedrigsten Stand seit vielen Monaten ereichte. Das nützt natürlich dem Export jetzt auch nichts mehr, denn Exporte werden nicht im Tagesrhythmus errungen, sondern in Monaten von Arbeit.

Gleichzeitig wird erneut deutlich: Die Spekulanten glauben den offiziellen Zahlen. Obwohl alle vernünftigen Kommentaristen auch die USA bereits in der Krise sehen und den offiziellen Zahlen von 3,3% Wachstum keinen Glauben schenken, bewegt sich der Dollar gegen den Euro genau entsprechend diesen Zahlen, so als ob die USA nicht in der Wirtschaftskrise wären. Na, denn spekuliert mal hübsch weiter!

Aus diesem Artikel („FTD: Dramatischer Dollar - Verfall bedroht deutschen Export - Die Wirtschaftskrise in Deutschland wird fürchterlich“) vom 1.Dezember 2006 hier noch eine Vorhersage, die sich jetzt anfängt zu bewahrheiten:

„ (...) Nun kommt aber die Wirkung der Krise als solche dazu: Massenentlassungen, Anstieg der Zahl der Arbeitslosen (der wirklichen, die veröffentlichten Zahlen mag man manipulieren können), Kurzarbeit, Werksschließungen, Lohnkürzungen, Arbeitszeitverlängerungen usw. Das wird die Massenkaufkraft zusätzlich schwächen und weitere Prozente ausmachen, schätzen wir konservativ ebenfalls 2%. Damit sind wir bei –4%

Nun aber: Der Dollar wird nicht etwa bei 1,40 im Vergleich zum Euro stehen bleiben. Er wird bis zu 1,50 gehen. Damit bricht der deutsche Export, die einzige Hoffnung in Deutschland, weiter ein: Weitere 2%, damit kommen wir auf –6%. Das würde bereits die bei weitem tiefste Wirtschaftskrise der Geschichte der Bundesrepublik ausmachen.

Der Rückschlag der Wirtschaftskrise aus anderen Ländern käme noch dazu: Die können nicht mehr soviel deutsche Produkte kaufen, da sie selbst in der Krise stecken. Sind glatt noch einmal 2%, da sind wir auf –8%.

(...) Das kann in seinen desaströsen Auswirkungen bestenfalls noch mit der massiven Weltwirtschaftskrise verglichen werden, die 1929 begann und bis tief in die Dreißiger Jahre hinein ging – und selbst die könnte noch übertroffen werden.

Der Kommentator der Financial Times nennt es eine tektonische Umschichtung, was uns für die nächsten Jahre bevorsteht.“

Und hier aus dem gleichen Artikel auch noch die Schlussfolgerung:

Karl Marx

„Weit mehr Bundesbürger werden nun endgültig sehen: Der Kapitalismus hat keine Zukunft für sie und ihre Kinder. Ein System, das nur unermeßlichen Reichtum für eine winzige Minderheit und Arbeitslosigkeit, Krisen, Hunger, Not, Elend, Kriminalität, Krieg und Gewalt produzieren kann, muß weg! (...) Die Zeiten, als kaum einer den Kampf für nötig hielt, werden bald definitiv vorbei sein. Lebhafte, revolutionäre Zeiten stehen an!“


Veröffentlicht am 4. September 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung


Andere Artikel zur Weltwirtschaftskrise:

"Anzeichen Wirtschaftskrise?"

"Full Crash- Zweites Anzeichen Wirtschaftskrise?"

"Stehen wir am Beginn einer grossen Weltwirtschaftskrise?"

"25% Fall des Dollars?"

"Der Mini-Crash - 10 Monate zur Wirtschaftskrise?"

"Drittes Anzeichen Weltwirtschaftskrise"

"Die Zinswende der Langzeitzinsen leitet das Abgleiten in die Weltwirtschaftskrise ein."

"Viertes Anzeichen Weltwirtschaftskrise"

"Können die USA bankrott gehen?"

"Wann kommt die Wirtschaftskrise?"

"Dollar-Verfall bedroht deutschen Export – Die Krise wird fürchterlich"

"USA: Global Alpha, Red Kite, Fed-Chef, Immobilien-Crash"

"Globaler Einbruch der Börsen"

"Weltwirtschaftskrise – Der konkrete Übergang in die Barbarei"

"USA: Wirtschaftskrise beginnt"

"Hellseherei? Die Wirtschaftskrise"

"General Motors könnte pleite gehen"

"Fannie und Freddie in der Bredouille"

"Drei EU-Länder sind bereits in der Wirtschaftskrise"

"Wirtschaftskrise in den USA"

"Banken gerettet – Staat pleite?"

"Weitere gigantische Finanzmarkt-Risiken"

"Verdienen deutsche Banken Vertrauen?"

"Können Sie das glauben?"

Dienstag, 2. September 2008

Hubers und der CSU Kreuzzug gegen die Linke

Fröhliche Urständ des Primitiv-Antikommunismus

Von Karl Weiss

Einen „Kreuzzug” werde er führen gegen die “Linke” mit seiner Partei, so der CSU-Parteichef Huber. Ob er sich klar ist, mit was er seine Kampagne auf der Basis alter antikommunistischer Vorurteile da vergleicht? Nicht einmal die bayerische CSU ist mehr das, was sie einmal war. Ein solcher Lapsus wäre dem Urvater des bayerisch-deutschen Antikommunismus, Franz Josef Strauss, niemals passiert, so reaktionär und korrupt er auch gewesen sein mag. Der hatte nämlich Geschichtskenntnisse.

Der Begriff „Kreuzzug“ ist nämlich schon belegt, denn es gab in der Geschichte mehrere Kreuzzüge, im Mittelalter. Zur Verwendung dieses Begriffes heute kann man in ‚wikipedia‘ unter ‚Kreuzzug‘ lesen: „Der Begriff „Kreuzzug“ beschränkt sich nicht nur auf die historischen Kreuzzüge, sondern wird auch heute noch im übertragenen Sinn verwendet. Seine politische Verwendung ist heute hoch umstritten und wird in Europa zumeist als Entgleisung betrachtet.“

Damals war der Katholizismus (damals noch fast identisch mit dem Christentum als solchen, es hatte erst die Trennung von den Orthodoxen stattgefunden) nicht zufrieden damit, dass Jerusalem in der Hand von Arabern war und dort ein spirituelles Zentrum des Islam aufgemacht worden war.

Also rief man alles zusammen, was gerade Soldaten abstellen konnte, um sich zu einem Kreuzzug (damals nannte man das eine bewaffnete Pilgerfahrt) zu vereinen, in den Nahen Osten zu ziehen und Jerusalem für das Christentum zurückzuerobern. Man brauchte Jahre, um tatsächlich eine Streitmacht zusammenzustellen, die diese Bezeichnung verdiente. Schließlich wurde unter der Obhut und mit dem Segen von Papst Urban II. im Jahr 1095 ein Heer in Bewegung gesetzt, das sich aus Führern und Soldaten verschiedener Länder zusammensetzte. Dies wird heute als DER Kreuzzug oder der erste Kreuzzug bezeichnet.

Tatsächlich konnte man im Jahre 1099 Jerusalem erobern und begann in fürchterlichen Gemetzeln alle Araber abzuschlachten, deren man habhaft werden konnte, so zum Beispiel im Massaker von Maarat an-Numan. Aus diesem Grunde ist der Begriff „Kreuzzug“ in der arabischen Welt gleichbedeutend mit christlichem Völkermord. Insoweit war es charakteristisch, dass auch Präsident Bush diesen Begriff benutzt, um den Afghanistankrieg und den Irakkrieg zu rechtfertigen, auch er, wie Huber, ein Mensch mit nicht sehr fundierten Kenntnissen (um es freundlich auszudrücken). Die Feindschaft praktisch aller Araber war ihm damit sicher.

Für eine kurze historische Epoche setzten sich die Kreuzfahrer in Jerusalem und in vier Kreuzfahrerstaaten in dieser Region fest, genannt Outremer (anderer Name: Syrien). Die Gegenangriffe der arabischen Herrscher wurden mit Hilfe von Nachschub aus Europa (weitere Kreuzzüge) eine Zeit lang zurückgeschlagen.

Die Einrichtung dieser Staaten belegte schon, es war nur ein Vorwand, Jerusalem christlich zu machen. In Wirklichkeit ging es um ganz profane Ziele, die Ausweitung europäischer Imperien, die Verstärkung der Macht des Papstes, das Vorrücken gegen das Byzantinische Reich (so wurde Konstantinopel (Byzanz, heute Istanbul) beim vierten Kreuzzug vollständig zerstört; im Jahre 1054 war die endgültige Trennung zwischen Orthodoxie und Katholizismus verkündet worden, wobei Byzanz die Orthodoxie repräsentierte), die Absicherung der Handelswege in den Orient und allgemein gegen Einfälle von Feinden nach Europa.

1187 war die ganze Pracht zu Ende. Jerusalem wurde von den Arabern unter Saladin zurückerobert, die Christen in der Schlacht vernichtend geschlagen. Wer überlebte, flüchtete sich in Burgen, die noch widerstanden, wie dem Krak des Chevaliers (im heutigen Syrien gelegen) oder kehrte mit eingezogenem Schwanz geschlagen nach Europa zurück.

Syrien: Krak de Chevalier

Danach gab es weitere Kreuzzüge, die jene Entwicklung wieder umkehren wollten, doch sie waren durchweg ohne Erfolg, zum Teil sogar fürchterliche Desaster. Bis 1291 hielten sich einige Burgen (1271 die Übergabe des Krak des Chevaliers) und Festungen der Kreuzritter, doch danach war mit dem Fall der Stadt Akkon endgültig jeder Rest europäischer Macht im Nahen Osten ausgelöscht.

Die Kreuzzüge stellten also in jeder Beziehung negative Symbole dar, sowohl durch die unverschämte Täuschung der Teilnehmer, die mit Glaubensdingen geködert wurden, aber doch nichts als Machtpolitik in die Wirklichkeit umsetzen sollten, aber auch durch die letzendlich völlige Erfolglosigkeit bei riesigem Verlust von Menschenleben sowohl im Adel als auch unter den Soldaten, durch die Massaker und versuchten Genozide in diesem Zusammenhang, durch die Zerstörung der christlichen Stadt Konstantinopel und viele andere negative Erinnerungen.

In diesem Artikel „Am Ende werden wir weg sein“ wurde denn auch schon kommentiert: „Erinnern sich heute die Europäer der Kreuzzüge, so tun sie dies bestimmt nicht mit Stolz, sondern mit Unverständnis. ´Wie konnten unsere Vorfahren so etwas Schwachsinniges tun?´ Die Kreuzzüge sind zu einer kuriosen Fussnote der Geschichte geworden, an die man sich kaum erinnert, und wenn, dann eher mit Spott über die Primitivität der damaligen Anschaungen.“

Wenn Huber und die CSU ihre Kampagne einen Kreuzzug nennen, ob sie sich dann bewusst sind, sie geben ihr den Namen eines der grössten und desaströsesten, ja, eines historischen Fehlschlages der ganzen europäischen Geschichte?

Nun, in gewisser Weise ist dieser Name natürlich wirklich angebracht. Nicht nur, weil die Kampagne zum Fehlschlag werden wird, sondern auch weil man mit völlig überholten Inhalten arbeitet. Man appeliert an antikommunistische Vorbehalte, die bestenfalls noch bei den klassichen CSU-Wählern ziehen – doch die sollten ja nun eigentlich nicht die Zielgruppe sein, oder? Die „Linke“, das sei ein ‚Kader-Geschwader‘ – das ist ein schlagendes Argument, nicht? Kaum je etwas aufrüttelnderes gehört.

Und da kommt dann natürlich auch immer wieder die dumme Frage nach der Zusammenarbeit mit der Ost-CDU, ja sogar deren Einverleibung. Wenn die SED, aus der ein Teil der heutigen „Linken“ hervorging, der Leibhaftige selbst war, dann war die Ost-CDU doch ein Unterteufelchen. Wieso dann die Zusammenarbeit? Ist es nicht gerade die Zusammenarbeit, die man der SPD (schon im voraus) übelnimmt? Also, wie halten es CDU und CSU mit ihrem Ost-Teil?

Zusammenfassend: Danke, Herr Huber, für diese Wortwahl. Das hat es allen erleichert, das richtig zu sehen.


Veröffentlicht am 2. September 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Montag, 1. September 2008

US-Angaben über Wachstum extrem unglaubwürdig

Es wird gefälscht, dass es eine Art hat

Von Karl Weiss

Ein Artikel der „Financial Times Deutschland“ (FTD) ironisiert in sarkastischer Weise die Veröffentlichung der US-Regierung, im zweiten Quartal 2008 habe es ein Wachstum des Bruttosozialprodukts (genau: Gross National Product, GNP) von 3,3% gegeben. Der Titel des Artikels spottet über die Anleger: „Sie wollen es immer noch glauben“ und im weiteren wird mit knallharten Zahlen belegt: Die US-Wirtschaft ist bereits in der Krise, das Erfinden von angeblichem Wachstum soll davon nur ablenken.

Housing Slump

Im Einzelnen wird dargelegt: „...die nichtagrarische Beschäftigung im zweiten Quartal [ist] mit einer Jahresrate von 0,6 Prozent gefallen (...) Die Baubeginne haben neuerlich um knapp elf Prozent nachgelassen, und der Autoabsatz ist im Vergleich zum Vorquartal sogar mit einer annualisierten Rate von einem Viertel eingebrochen. Der US-Ölverbrauch ist im ersten Halbjahr so stark gesunken wie seit 26 Jahren nicht mehr.“ Außerdem ist die Industrieproduktion um 3,2 % gesunken in diesem Quartal. Da hilft es auch nicht, dass die Exporte erneut nominal anstiegen (kein Wunder bei den niedrigen Dollarkursen), denn aus alldem kann unmöglich wirtschaftliches Wachstum entstehen.

Der Export stellt ja in den USA nicht einen der ganz großen Wirtschaftsfaktoren dar wie in Deutschland, sondern nur einen relativ geringen.

Auch das Budget-Defizit (Relation Staatseinnahmen/Staatsausgaben) ist ein 'Fake'. Es soll angeblich unter 3% betragen, während die OECD diesen Wert, der die Neuverschuldung des Staates im Jahr darstellt, bereits auf wahrscheinliche 5,5% des BIP (Brutto-Inlands-Produkt) geschätzt hat. Auch daneben kennt die FTD noch eine Anzahl von Wirtschaftsdaten, die lächerlich manipuliert sind, aber wir haben hier weder Zeit noch Muße, uns im Einzelnen die genauen Begründungen anzuhören.

USA: Foreclosure Zwangsversteigerung

Kurzum: Die US-Regierung, die schon einen „geringfügigen Fehler“ machte, als sie den Irak wegen Massenvernichtungswaffen überfiel, die dann gar nicht da waren, manipuliert die Wirtschaftsdaten des Landes, wie es ihr gefällt. Denn all diesen Zahlen, veröffentlicht kurz nach Ende des Zeitraums (in diesem Fall 2. Quartal 2008) sind Schätzungen. Und schätzen kann man, was man will.

Und sie schafft es tatsächlich, so unglaublich dies klingen mag, die Anleger zu täuschen: Sie investieren (zumindest kurzzeitg) erneut in US-Aktien, in US-Dollar-Bonds. Auf sie bezieht sich denn auch die Überschrift: „Sie wollen es immer noch glauben.“

Immobilienkrise USA

Wir kennen das ja auch aus Deutschland, wo man sich Zahlen von 3 Millionen Arbeitslosen aus den Fingern saugt, während weiterhin fast sechs Millionen in Hartz IV stecken.

Sind die Präsidentenwahlen in den USA erst einmal gelaufen, wird der neue Präsident im Januar eingeführt, wird es sich zeigen: Im Falle der Kontinuität wird man weiterhin massiv verfälschen. Wird die Opposition gewählt, wird der neue Präsident am Anfang nicht wissen, wie man die Zahlen zurechtbiegt. Es wird, exakt mit seinem Amtsantritt, einen massiven zahlenmässigen Wirtschaftseinbruch geben. Und dann soll noch irgendeiner sagen, er sei nicht Schuld daran.

Bereits in diesem Artikel wurde vorhergesagt: "... in einem Jahr, in dem ein neuer Präsident gewählt wird. Man darf erwarten: Die statistischen Zahlen werden manipuliert werden, um das offensichtliche Eintreten in die Krise auf nach den Wahlen zu verschieben, ..."

So ist das, wenn alle Hemmungen gefallen sind, wenn niemand mehr Angst hat, entlarvt zu werden, weil alle bürgerlichen Medien (fast immer) gleichgeschaltet sind.

Bush

Wenn alle Scham endgültig zur Seite gelegt ist, wenn nur noch der Zynismus herrscht, das ist der endgültige Beginn der kapitalistischen Barbarei. Das zynische Lügen und Verdrehen im Grossmassstab, das breite Grinsen, während man peinliche Befrager zu solchen Dingen mit Gewalt abführen lässt, das wird mehr und mehr das Markenzeichen der Politik der kapitalistischen Oligarchien und ihrer Politiker.

Lassen wir sie unsere Kraft spüren!


Veröffentlicht am 1. September 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Sonntag, 31. August 2008

Brasilien jenseits von Fussball und Samba - Teil 10: Sivam - Big Brother in Amazonien

Teil 10: SIVAM - Big Brother in Amazonien

Von Elmar Getto

Es war bereits das größte Geschäft aller Zeiten genannt worden. Das war es wohl nicht, aber für das Entwicklungsland, das es zahlen mußte, war es Teil des gewaltigen Anstiegs der Staatsverschuldung in den 90er Jahren. Brasilien wurde dazu gebracht, für offiziell etwa 1,4 Milliarden Dollar (wahrscheinlich aber einschliesslich der Peripherie-Systeme und Flugzeuge mehr als 9 Milliarden Dollar) ein System der Überwachung des Amazonasgebietes zu kaufen, das sich jetzt als völlig unbenutzbar für Brasilien herausstellt, aber den USA die völlige Kontrolle über dieses Gebiet Tausende von Kilometern außerhalb der US-Grenzen garantiert.

Brasilien (topographisch)

Das erste Mal, daß man vom Projekt SIVAM (Sistema de vigilância de Amazônia, Amazonienüberwachungssystem) gehört hat, war 1992 auf der Welt-Umwelt-Konferenz RIO 92, in der es als Beweis für die angeblichen ‚ungeheuren Anstrengungen’ der Großmächte zum Umweltschutz vorgeführt wurde. Aus heutiger Sicht kann man es als sicher ansehen, daß es offizielle Stellen der USA waren, die diese Idee in das Treffen einführten, sei es direkt oder indirekt.

Verschiedene Umweltschutzorganisationen priesen das Programm als „richtungsweisend“ (Man sehe sich immer genau an, wer hinter "Umweltschutzorganisationen" steckt, "Greenpeace" zum Beispiel hat sich letzthin mehrfach mit Grosskonzernen ins Bett gelegt, "Rettet den Regenwald" betreibt - bewusst oder unbewusst - das Geschäft der Ölkonzerne).

Es war der konzentrierte Ausdruck der ganzen hoffnungsvollen Situation, die in jenem Jahr herrschte. Der Block der zweiten Supermacht, der Sowjetunion, wie auch sie selbst, waren zusammengebrochen und man glaubte weithin, nun würde eine Zeit des weltweiten Friedens anbrechen - jedenfalls alle, die noch an den Kapitalismus glaubten.

Regenwald

Die Belange des Umweltschutzes und des Kampfes gegen die Drogen würden endlich die ihnen zustehenden Prioritäten bekommen. SIVAM schien auf den ersten Blick der Plan gewordenen Ausdruck dieser Hoffnungen zu sein.

Es geht um das Gebiet des Amazonas-Urwaldes. Zum einen wurde bereits damals hemmungslos und ungebremst abgeholzt und abgebrannt (interessant, nicht wahr, wie lange zurück das alles schon so war und bekannt war). Zum anderen ist das Amazonasgebiet der Hauptumschlagplatz des Kokain-Schmuggels aus Kolumbien und Peru nach den USA und Europa.

SIVAM Slide 7

Ein Überwachungssystem, sei es auf Radar- oder Satellitenbasis, würde dem Einhalt gebieten können. Würde man erst einmal in Echtzeit wissen, wo im Moment gerade gefällt und abgebrannt wird, könnte man das auch unterbinden. Würde man auf den Bildschirmen ablesen können, wo die Kleinflugzeuge landen und mit der Drogenfracht beladen werden, die mit Booten herangeschafft wurden, um dann nach Mittelamerika ausgeflogen zu werden, so würde die entscheidende Basis des Drogenhandels mit Leichtigkeit außer Gefecht gesetzt werden können.

Wer weiß, dass es in Wirklichkeit Kapitalismus und Imperialismus sind, die beides verursachen, nicht mangelnde Technik, war damals schon skeptisch.

So wurde das System damals, 1992, vorgestellt. Es wäre bereits zu jener Zeit möglich gewesen, die richtigen Fragen zu stellen, die dieses System schnell und offensichtlich hätten suspekt werden lassen, aber in der allgemeinen Euphorie wollte wohl niemand Spielverderber sein.

Es wurde behauptet, das System sei offen und jeder, der die technologischen Fähigkeiten hätte, könne einen Kostenvoranschlag einreichen. Später würde die billigste technisch durchführbare Lösung ausgewählt werden. Und es wurde so getan, als würden die Großmächte, allen voran die USA, das System zahlen. In Wirklichkeit – und das hätte einem aufmerksamen Beobachter damals schon auffallen können – wollten sie lediglich Kredite „zu üblichen Bedingungen“ bereitstellen, wer zahlte, sollte Brasilien sein, das heißt der brasilianische Steuerzahler.

SIVAM Slide 2

Als – Jahre später – SIVAM verwirklicht wurde und die Kredite flossen, waren sie wichtiger Teil des Anstiegs der brasilianischen Staatsverschuldung, die sich zwischen 1994 und 2002 verdoppelte, z.T. auch deshalb, weil der Dollar ständig mehr Wert wurde als der brasilianische Real. Heute ist sie völlig jenseits jeglicher Bezahlbarkeit, eine entsetzliche Bürde auf dem Rücken des ganzen brasilianischen Volkes, das Ende jeglicher Hoffnung auf jedwede Besserung für die jungen Brasilianer. Nicht nur wegen der hohen Summe der Gesamtverschuldung (etwa 600 Milliarden Euro), sondern vor allem wegen der hohen Zinsen. Kann sich Deutschland z.B. jederzeit Geld für etwa 3% Zinsen pro Jahr aufnehmen, muß Brasilien 20% zahlen!

Zunächst kam die Verwirklichung von SIVAM nicht voran. Man hätte schon hoffen können, der Plan bliebe in der Schublade wie so viele in Brasilien. Der damalige Präsident Collor wurde wegen Korruption abgesetzt und der Vize-Präsident Franco übernahm das Zepter. Er hatte anderes zu tun als das Amazonasgebiet mit Radarstationen vollzustellen, er mußte mit einer Inflation fertigwerden, die bis auf 40% im Monat stieg. Tatsächlich gelang es 1994 mit dem ‚Plano Real’, die Inflation in den Griff zu bekommen. Die Dankbarkeit der Brasilianer hierfür war ausschlaggebend dafür, daß bei den anschließenden Wahlen der dafür zuständige Minister Cardoso zum Präsidenten gewählt wurde.

Dessen acht Jahre währende Amtszeit wurde zu einer der größten Katastrophen für das Volk in der brasilianischen Geschichte. Nicht nur, daß die Last der öffentlichen Schulden sich verdoppelte, es wurden auch alle vom Internationalen Währungs Fond (IWF) geforderten Auflagen befolgt.

Telecomsivam

Dazu gehörte
  • die Privatisierung einer großen Zahl staatlicher Unternehmen,
  • der (fast) gesamten Elektrizitätzwirtschaft,
  • der größten Minengesellschaft des Landes (und eine der größten der Welt) Compania do Vale do Rio Doce (CVRD) und
  • des gesamten Telekommunikationssektors,
  • der erfolgreichen Flugzeugfirma Embraer,
  • die Vollendung der weitgehenden Privatisierung des Erziehungswesens,
  • die Berechtigung der ausländischen Konzerne, ihre Gewinne ins Ausland zu schaffen, bevor Gewinnsteuer abzuführen war (und sie damit fast völlig von Steuern zu befreien),
  • die gleichzeitige massive Erhöhung der Steuerlast für kleinere brasilianische Unternehmen und die Beschäftigten,
  • die Liberalisierung des Bankenwesens (Präsident Cardoso kam selbst aus einer Bankiersfamilie) mit der Übernahme der Verluste Pleite gegangener Banken,
  • die Öffnung des Kapitalmarktes für die ausländische Spekulation (was weitere gigantische Erhöhungen der Schulden hervorrief),
  • die Öffnung der Privatisierungen für ausländische Investoren (was einigen französischen und spanischen Konzernen zu märchenhaften Gewinnen auf Kosten der brasilianischen Bevölkerung verhalf) und
  • eine vollständige Untätigkeit gegenüber der zum Regelfall werden Korruption.
Es gibt im Gegenteil klare und deutliche Anzeichen, daß die Regierung Cardoso selbst tief im Sumpf der Korruption steckte.

Während dieser 8 Jahre wurden die Löhne und Gehälter der Lehrer und Hochschullehrer nicht erhöht, wodurch sie durch die Inflation mehr als halbiert wurden. Zusätzlich wurden die Leistungsüberprüfungen des öffentlichen Schulsystems abgeschafft. Beide Maßnahmen zusammen haben das öffentliche Schul- und Hochschulsystem Brasiliens, das vor dem Beginn der Militärdiktatur 1964 das Paradepferd der Administration war, (mit wenigen Ausnahmen) zu einem Desaster werden lassen, das heute nicht mehr den geringsten Anforderungen genügt.

Während dieser 8 Jahre stieg die Kriminalitätsrate, speziell im Zusammenhang mit dem Drogengebrauch und –handel, steil an und hat Brasilien zu dem Land mit den höchsten Gewaltraten der Menschheit gemacht. Wesentlich hierfür war, daß die Hintermänner des Drogenhandels, alle selbst Teil der herrschenden Schicht Brasiliens, ohne Ausnahme unbehelligt blieben.

Während dieser 8 Jahre vervielfachte sich die Spanne des Einkommensunterschiedes zwischen Brasiliens Superreichen und der armen Bevölkerung, ohne daß auch nur ein winziger Teil der riesigen Ressourcen des Landes eingesetzt worden wäre, um diese Spanne zu verringern.

Während dieser acht Jahre wurde das System SIVAM gekauft und installiert und das Geld dafür und für die Zinsen und Zinseszinsen aus der brasilianischen Bevölkerung herausgepreßt, während gleichzeitig staatliche Unternehmen zu einem Tausendstel oder einem Millionstel ihres Wertes an private und ausländische Anleger verschleudert wurde (die CVRD z.B. wurde zu einem Preis verhökert, der – 1 Jahr vor der Versteigerung - etwa dem Gewinn EINES MONATS dieser Gesellschaft entsprach).

In den Jahren 1993 und 1994 wurde darüber beraten, welches der angebotenen Systeme man für das SIVAM verwenden würde. Es kann aus heutiger Sicht als sicher gelten, daß von Anfang an nur das vom US-amerikanischen Raytheon-Konzern angebotene in Erwägung gezogen worden war. Wahrscheinlich war das Ganze eine Idee aus der Raytheon-Gruppe, von offiziellen US-amerikanischen Stellen ins Gespräch und die Rio-92-Konferenz gebracht, um dem Rüstungskonzern ein sagenhaftes Geschäft zu verschaffen.

Amazonas

Es wurden Berichte in brasilianischen Zeitungen veröffentlicht, in denen davon die Rede war, wie brasilianische Regierungsbeamte und deren Familien in konzerneigenen Jets des Raytheons-Konzern herumgeflogen wurden. Ebenso sind diverse Einladungen zu üppigen Mahlzeiten berichtet wurden. Das dürfte aber mit Sicherheit nur die Spitze des Eisbergs von dem sein, was an Bestechungsgeldern und –vorteilen geflossen ist. Ein Abgeordneter stellte sogar einmal die Frage, woher eine von ihm vermutete phantastische Zunahme des Reichtums von Präsident Cardoso kam, aber all dies wurde in der Öffentlichkeit nicht weiterverfolgt.

Der auffallendste Hinweis auf Korruption in diesem Zusammenhang kam aus dem Mund eines der selbst hundertfach der Korruption angeklagten Politikers, dem alten Haudegen der brasilianischen Politik, dem getreuen Abbild von Franz Josef Strauss, Antonio Carlos Magalhães, kurz ACM genannt, dem reaktionärsten Politiker seiner Zeit in Brasilien. Er war zu dieser Zeit in Bedrängnis geraten, weil in zwei Parlamenten, dem Bundesparlament und dem Landesparlament seines Heimat-Bundeslandes Bahia Untersuchungsausschüsse eingerichtet worden waren, die Korruptionsvorwürfe gegen ihn und mit ihm verbundenen Politikern prüfen sollten. Offensichtlich hatte er sich in seiner Sorglosigkeit dazu hinreißen lassen, einige seiner Bereicherungsaktionen nicht ausreichend mit „Geheimschutz“ zu versehen.

Brasilien: Soja-Pflanzungen auf Regenwald-Gelände

Im Jahr 1995 trat er nun plötzlich mit Drohungen auf. Er habe Beweise für Korruption im Zusammenhang mit SIVAM und es würde schlimm für die Bundesregierung aussehen, wenn er diese an die Öffentlichkeit brächte. Dies stand damals in vollem Wortlaut in der Zeitung. Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß ACM mit seiner Partei PFL selbst Teil der Koalition war, die die Regierung stützte.

Kurz darauf berichtete die „Folha de São Paulo“, die größte Tageszeitung Brasiliens, daß geheime Verhandlungen stattgefunden hätten und Regierung und ACM sich auf einen Kompromiß geeinigt hätten: Die Regierung würde mit ihren Mehrheiten die beiden Untersuchungsausschüsse „ohne Ergebnis“ beenden und ACM würde seine Beweise nicht an die Öffentlichkeit bringen. Tatsächlich wurden die beiden Untersuchungsausschüsse beendet, ohne daß sie Belastendes gegen ACM gefunden hätten und ACM kam nie wieder auf das Thema „SIVAM“ zurück. Die „Folha“ wurde nie wegen Verleumdung angeklagt.

Es muß also als extrem wahrscheinlich, wenn nicht als bewiesen gelten, daß es wirklich eine solche Vereinbarung gegeben hat. Damit wäre dann auch beweisen, daß die Vergabe von SIVAM an Raytheon wirklich auf Korruption beruhte.

Regenwald-Abholzung Brasilien

Dafür gibt es auch noch andere Hinweise. Das Raytheon-System war nämlich das teuerste der in der Konkurrenz verbliebenen. Sowohl eine russische als auch eine französische Firma hatten ebenfalls Vorschläge für Überwachungssysteme der Amazonasregion eingereicht (Auch die deutsche Dasa, die aber schon in einer frühen Phase wegen eines zu teuren Ansatzes ausschied). Diese beiden Systeme beruhten auf der Überwachung durch moderne Satelliten, eigens für das System in eine geostationäre Umlaufbahn gebracht, während das Raytheon-System im wesentlichen auf 20 großen Radarstationen im Urwald selbst sowie weiteren in 99 Flugzeugen aufbaute und eine Satelliten-Unterstützung nur als Absicherung vorgesehen war. Dazu muß man wissen, daß Raytheon der wichtigste Hersteller von kompletten Radaranlagen auf der Welt ist.

Das US-System kostete – einschließlich der ganzen Computerausrüstung und unter Zuhilfenahme von radar- und kamerabestückten Flugzeugen – fast 1,4 Milliarden Dollar. Die beiden Systeme aus Rußland und Frankreich wurden – einschließlich der Computerausrüstung zur Auswertung und eigener Satelliten - billiger angeboten. Der Site
https://www.american.edu/TED/SIVAM.HTM
ist zu entnehmen, daß das russische Angebot nur ein Drittel des Raytheon-Systems gekostet hätte.

Da mußte schon ein wichtiger Grund gefunden werden, um das teure System zu nehmen. Zunächst gab es nur allgemeine Aussagen, das US-System sei das einzige, das den Anforderungen gerecht würde. Als dann aber einige Abgeordnete nach Frankreich und Rußland gereist waren und in der brasilianischen Öffentlichkeit nach Erklärungen verlangte (von ihnen kam auch die Information, daß die beiden Voranschläge billiger waren), rückte man mit einer Begründung heraus: Sattelitengestützte Systeme könnten nicht durch die Wolken sehen und über dem Regenwald ist es fast ständig bewölkt, da sei nur ein radargestütztes System geeignet. Klang zunächst einleuchtend und das Thema verschwand aus der öffentlichen Diskussion.

Inzwischen weiß man, daß moderne Satelliten-Aufklärung u.a. mit Infrarot-Kameras arbeitet, die sehr wohl durch Wolken sehen kann. Der Grund war also vorgeschoben. Es muß andere Gründe gegeben haben, warum Brasilien zu viel ausgab, um dieses Überwachungssystem zu installieren. Weder die damalige Bundesregierung Brasiliens noch die darauffolgende Lula-Regierung haben hierzu je Auskunft gegeben.

Es muß nach menschlichem Ermessen davon ausgegangen werden, daß ein Teil dieser Millionen auf den Konten sowieso schon reicher Brasilianer gelandet ist.

Aber selbst das ist noch nicht alles. Aus Meldungen der Zeitung „Folha“ aus der damaligen Zeit ging hervor, daß die Kosten des Systems in Wirklichkeit viel höher seien. Es wurde von bis zum 10-fachen gesprochen. Ein Teil der Anlagen und Flugzeuge sei einfach nicht in das „SIVAM“ genannte System einbezogen worden, sondern liefe unter anderem Namen, so daß seine Kosten nicht als Kosten des Systems erscheinen. Auch wegen dieses Artikels wurde die „Folha“ nie verklagt.

Noch mehr: Während ein satellitengestütztes System naturgemäß wenig Unterhaltskosten verursacht, sind die boden- und flugzeuggestützten Radarsysteme ein hoher laufender Kostenfaktor. Die Radarstationen (und der Zugang zu ihnen) müssen ständig gewartet und freigehalten werden, ein großer Teil der 8 Jets 99 Propeller-Flugzeuge muß ständig in der Luft gehalten werden. Die Kosten allein für die Flüge sowie die Wartung der 8 Jets und 99 Propeller-Flugzeuge sind schon horrend.

Im einzelnen werden auf einer Website https://www.militarypower.com.br/frame4-opin8.htm
über das System folgende Komponenten angegeben: 6 Satelliten, 19 fixe Radarstationen, 6 transportable Radarstationen, 3 regionale Überwachungszentren, 200 Umweltüberwachungsstationen, 70 meteorologische Stationen, 300 Radiosender, 940 V-Sat-Empfangsstellen, 5 Jet-Flugzeuge EMB 145, 3 Jet-Flugzeuge EMB 145 SR und 99 Propeller-Flugzeuge ALX.

Fast scheint es so, als hätten wir hier ein Land vor uns, bei dem es auf Kosten nicht so genau ankommt.

Nun, so sagt man sich, selbst wenn es so ist, jetzt gibt es wenigstens ein Überwachungs-System und der Drogenhandel und die Regenwald-Vernichtung werden unterbunden.

Schön wärs!

Am 25. Juli 1997 wurde offiziell der Baubeginn des Systems verkündet. Das System ist inzwischen installiert. Im Jahr 2002 wurde der erste Teil eingeweiht, seit Mitte 2002 ist auch die Zentrale mit der ganzen Computerauswertung in Manaus fertig. Am 18. Oktober 2004 wurde das System als zu 98% in Funktion gemeldet und der erste Test des Gesamtsystems wurde erfolgreich abgeschlossen. Seitdem ist das SIVAM völlig aus den Medien Brasiliens und der Welt verschwunden.

Es gibt da auch noch ein gewisses Detail dieses Plans, das wenig Beachtung gefunden hat, aber eine Erklärung für das völlige Fehlen von Ergebnissen des Systems geben kann: Das System SIVAM steht unter der Überwachung der Regierung der USA. Alle Daten laufen zunächst in einem Raum zusammen, der ausschließlich von den USA genutzt werden kann. Erst danach werden diese Daten an die brasilianischen Auswerter weitergegeben. Sollte die US-Regierung aus irgendwelchen Gründen bestimmte Daten nicht an die Brasilianer (und eine eventuelle Öffentlichkeit) weitergeben wollen, tut sie es nicht.

Harsche Kritik an diesem Konzept kam speziell von einem Fachmann, dem Physiker und emeritierten Professor der Stattlichen Universität von Campinas (UNICAMP), Rogério Cerqueira Leite:
https://www.scielo.br/scielo.php?pid=S0103-40142002000300010&script=sci_arttext&tlng=pt

Er wies besonders darauf hin, daß ein Projekt dieser Größenordnung und von strategischer Bedeutung (es erfaßt etwa 60% des Staatsgebietes von Brasilien) nicht mit einer Technik hätte realisiert werden dürfen, deren Implikation ist, daß eine ausländische Macht das Erst-Zugangsrecht hat. Er berichtet außerdem, daß die Gesamtkosten fast 1,8 Milliarden US-Dollar betragen.

Wie es zu dieser US-Connection kam, wird klar, wenn man noch einmal in die Anfangszeit des Projektes zurückgeht. Die ersten, die das Projekt gefordert haben, waren nämlich die brasilianischen Militärs. Sie stellten fest, daß Brasilien über einen wesentlichen Teils seines Territoriums nur eine begrenzte Souveränität hat. Angesichts der schwierigen Umstände im Amazonasgebiet, der geringen Bevölkerungsdichte, der praktisch nicht vorhandenen Straßenverbindungen und des Zugangs ausschließlich über Schiffe und Fluggeräte, sei mit normalen militärischen Mitteln dieses Gebiet praktisch nicht zu verteidigen. Es sei daher ein Überwachungssystem notwendig.

Im nächsten Gedankenschritt wird dann gesagt, daß, selbst wenn man ein Überwachungssystem hat, ein Land wie Brasilien nicht die Möglichkeit hat, ein solch riesiges Gebiet gegen einen eventuellen Aggressor zu verteidigen. Dazu sei nur eine Großmacht fähig. Und welche Großmacht kommt in Frage? Nur die Vereinigten Staaten von Amerika! Da komme es dann recht, daß „rein zufällig“ eine US-Firma einen Vorschlag für ein Überwachungssystem vorgelegt hat. Die Verwendung dieses System würde dann auch sicherstellen, daß die USA im Ernstfall diesen Teil Brasiliens verteidigen würden.

Nun, jedem aufgeklärten Zeitgenossen stehen bei dieser Argumentation die Haare zu Berge, wenn man nur an den Irak denkt. Auch muß man natürlich in diesem Zusammenhang sehen, daß US-Truppen (und vor allem Söldner) im benachbarten Kolumbien eine Krieg gegen aufständische Guerrillas führen.

Vor allem aber wird mit dieser Argumentation widerlegt, daß eine Ausschreibung unter fairen Bedingungen stattgefunden hat. Die US-Regierung hätte ihren „Verteidigungs-Anteil“ an brasilianischem Gebiet offensichtlich nicht übernommen, wenn nicht das Angebot der US-Firma angenommen worden wäre. Auch damit ist also bewiesen, daß hier eine beachtliche Menge von schmutziger Wäsche herumliegt.

Die brasilianischen Medien, in den Händen derselben Kaste, die aus solchen Aufträgen Nutzen zu ziehen pflegt, zeigt nicht die geringste Lust, zur Aufklärung und zum Waschen dieser Wäsche beizutragen - wen wundert's.

Wer interessiert ist, ein wenig in die Details des technisch sicherlich extrem interessanten Systems einzusteigen, der kann mit der Site (auf Englisch) https://web.mit.edu/12.000/www/m2006/kvh/sivam.html
anfangen, auf der von Raytheon-Leuten das System vorgestellt wird. Wenn man SIVAM (auf Englisch) googelt, kommen noch eine Menge anderer Sites. Wer einen unkritischen Artikel auf Deutsch will, kann ihn unter https://www.brasilienportal.ch/index.cfm?nav=12,3,13,20,380
finden.

Nun, so fragen sich natürlich der Fachmann und der Laie, was hat das Ganze nun gebracht? Ist der Drogenschmuggel über das Amazonasgebiet unterbunden worden? Ist das Abbrennen und Abholzen des Amazonas-Urwalds gestoppt?

Nichts dergleichen!

In den letzten Jahren und Monaten, seit SIVAM voll funktionsfähig ist und es ein leichtes gewesen wäre, die Flugpisten und Flugzeuge mit den Drogen zu orten und aufzubringen, ist in Brasilien nicht ein einziger größerer Drogentransport aufgeflogen – jedenfalls gibt es nichts in den Medien, weder dort noch anderswo. Offensichtlich kann niemand ein Interesse haben, solche Erfolge geheimzuhalten.

Man kann also davon ausgehen, daß wirklich keine Drogentransporte aufgeflogen sind. Wie soll man das verstehen? Man kauft und installiert eines der teuersten Systeme der Welt, um es anschließend nicht zu benutzen? Oder funktioniert es vielleicht gar nicht? Extrem unwahrscheinlich. In dieser Hinsicht dürfte Raytheon zuverlässig sein.

Gibt es in den USA oder Europa Meldungen über extreme Verknappungen und Preisanstiege von Kokain? Nein, auch nicht im Gegenteil, das Angebot von Kokain hat sich in den entwickelten Ländern seitdem erhöht. Der „Export“ über das Amazonasgebiet geht also weiter.

Dann bleibt nur eine Erklärung (falls einer eine logische andere hat, es können jederzeit Kommentare geschrieben werden): Die US-Administration benutzt das SIVAM anscheinend ausschließlich, um seinem CIA das Monopol über den Kokain-Handel zu sichern, nicht um ihn zu unterbinden. Es ist ja seit dem Buch des Aufklärungsjournalisten Garry Webb aktenkundig, daß ein wesentlicher Teil des Kokain-Schmuggels aus Peru und Kolumbien vom CIA unternommen wird. Garry Webb mußte für diese Entdeckungen sterben.

Falls überhaupt entsprechende Meldungen an brasilianische Stellen weitergegeben werden, kann auch hier das Eingreifen „höherer Stellen“ Brasiliens, um ihre eigenen Drogentransporte zu schützen, nicht ausgeschlossen werden.

Und das Abbrennen und Abholzen?
Sind doch nun ständig Flugzeuge mit Infrarot-Detektoren unterwegs, die innerhalb kürzester Zeit jede größere illegale Aktion orten können.

Gerade vor kurzem ging erneut die Meldung durch den Blätterwald, daß die Regenwaldvernichtung im Amazonasgebiet im letzten Jahr alle Rekorde gebrochen hat. Dabei ist interessant, daß diese Zahlen nicht etwa aus einer SIVAM-Auswertung stammen, sondern von einem brasilianischen meteorologischen Institut, das schon seit vielen Jahren mit Wettersatteliten solche Auswertungen vornimmt. Es wurde und wird also offensichtlich innerhalb des SIVAM-Systems von Anfang an verhindert, daß Daten und Informationen über die Regenwaldvernichtung gesammelt und weitergegeben werden.

Das ergibt auch einen Sinn, wenn man weiß, daß es ja vor allem eben jene Mächtigen in Brasilien sind, die Profit aus den Hölzern und dem Soja-Anbau und den Viehweiden auf abgebrannten Regenwaldflächen ziehen. Diese Mächtigen haben natürlich auch das System SIVAM in der Hand (jedenfalls das,was die US-Stellen durchlassen) und können dafür sorgen, daß sie dort nicht gestört werden.

Die Regierung Lula, wenn wir ihr nicht unterstellen wollen, daß sie selbst in solche Aktivitäten verwickelt ist, tut nichts dagegen. Auch das ergibt einen Sinn, denn Lula muß sich ja mit genau diesen Mächtigen Brasiliens gut stellen, will er Gesetze durchbringen und will er vermeiden, daß seine Dekrete von den Parlamentariern niedergestimmt werden.

Das alles ergibt also in perfekter Weise einen Sinn. Das einzige, was keinen Sinn ergibt, ist SIVAM, außer natürlich für die Raytheon und für die Geldgeber, die dicke Zinsen und Zinseszinsen einstreichen. Und natürlich die herrschenden Schichten in Brasilien, die nun noch ungestörter dem Regenwald den Garaus machen können. Nicht zu vergessen der CIA, der jetzt das Kokain-Transport-Monopol hat. Ah, und da ist natürlich noch die US-Regierung, die jetzt die praktische Souveränitat im Amazonasgebiet ausübt, viele tausend Kilometer außerhalb der US-Grenzen.

Alles bezahlt vom brasilianischen Steuerzahler – mit Zins und Zinseszins und Zinseszinseszins und...


Hier stelle ich einen der wichtigsten Artikel der Brasilien-Reihe von Elmar Getto in mein Blog, der ursprünglich am 15. Juni 2005 in der 'Berliner Umschau' (damals Rbi-aktuell) veröffentlicht wurde. Er hat sich bereits mehrfach as extrem notwendig und aktuell erwiesen, vor allem deshalb, weil die gesamte bürgerliche Medienwelt, sei es in den USA, in Brasilien oder in Deutschland, so tut, als gäbe es kein SIVAM. Er ist vom Autor leicht redigiert und aktualisiert.


Hier die Links zu allen Teilen der Reihe „Brasilien jenseits von Fussball und Samba“

- Teil 1: „Wie der Amazonas zu seinem Namen kam“

- Teil 2: ‚Menschenfresser-Country’

- Teil 3: „Ausgerottete Künstler“

- Teil 4: Niemeyer ist 100 – ‚Auf dem Höhepunkt des Schaffens’

- Teil 5: Brasilien und Gold

- Teil 6: Die Landschaften Brasiliens – Der Amazonas-Regenwald

- Teil 7: Brasilien und der Strom

- Teil 8: Die Landschaften Brasiliens – Mata Atlântica

- Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

- Teil 10: SIVAM – Big Brother in Amazonien

- Teil 11: Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

- Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

- Teil 13: Wie unsere Zukunft in der beginnenden kapitalistischen Barbarei aussähe – „Ich habe kein Leben“

Montag, 25. August 2008

Der erste Hilfsgüterkrieg der Menschheit

Westliche Schiffe zu angeblichen Manövern ins Schwarze Meer beordert / Auch Bundesmarine vor Ort

Von Karl Weiss

Die NATO hat eine beträchtliche Ansammlung von Kriegsschiffen ins Schwarze Meer geschickt, offenbar als Machtprobe gegenüber Russland, zuerst unter dem Vorwand, Hilfsgüter nach Georgien zu bringen, dann als scheinbares „Manöver“. Nur war das Manöver nicht angekündigt!

Fregatte Lübeck

Das muss man der verbrecherischen Kaste der bürgerlichen Politiker wirklich lassen: Im Tarnen und Täuschen, Erfinden von Scheinbegründungen, von Ablenkungsmanövern, von vorgeschobenen oder erfundenen Vorwänden, um die Öffentlichkeit zum Narren zu halten, und manchmal auch im offenen Lügen, sind sie wirklich Weltmeister.

Da gab es Saddams „Massenvernichtungswaffen“, die es dann doch nicht gab, da wurde Afghanistan überfallen, weil man dort angeblich Osama Bin Laden suchen wollte, später wurde die dortige Mission zu einer humanitäre Hilfsleistung umgewidmet, nachdem sich der Bösewicht angeblich nicht finden liess. Nur hat man es bis heute nicht geschafft, uns zu erklären, warum bei ‚humanitären Missionen’ Hunderte oder Tausende von Zivilisten dran glauben müssen.

Serbien wurde in die Steinzeit zurückgebombt, weil man den armen verfolgten Albanern im Kosovo helfen wollte, nicht weil man Milosevic ablösen und einen dem Westen geneigten Politiker an der Macht sehen wollte.

Wirkliche oder von den eigenen Geheimdiensten inszenierte Terroranschläge geben den Vorwand zum Abbau demokratischer Rechte ab, denn man weiss, all den Sozialabbau werden sich die Menschen auf Dauer nicht gefallen lassen.

Nun hat man etwas Neues erfunden, im Grunde ebenso leicht zu durchschauen wie die oben angegebenen Täuschungen: Der Hilfsgüterkrieg.

Der erste Versuch dazu wurde früher in diesem Jahr gestartet, als Burma (Myanmar) von einem verheerenden Taifun heimgesucht worden war. Der „Westen“, sprich die US-Regierung und alle in ihrem Hintern, erklärte, man wolle Hilfsgüter für die armen Burmesen mit Kriegsschiffen in dortigen Häfen anlanden.

Es standen genügend grosse Flughäfen in der Nähe des Katastrophengebietes zur Verfügung und ein Kriegsschiff hat, wie bekannt, keinen Laderaum für Güter. Benachbarte Länder hatten bereits Lastwagenkolonnen in Bewegung gesetzt, um die Hilfsgüter von den Flughäfen ins Katastrophengebiet zu bringen, aber die Angebote wurden vom „Westen“ schnöde zurückgewiesen Es war offensichtlich, man wollte alles andere als Hilfsgüter bringen.

Ob man wirklich eine Landung von Truppen durchgeführt und Myanmar dem Einfluss Chinas entrissen hätte oder ob nur eine massive militärische Muskelprotzerei vorgesehen war im Unterfangen, die Militärjunta dort einzuschüchtern, bleibt dahingestellt. Es kam nicht zu all dem, denn das bluttriefende Militärregime dort untersagte das Einlaufen der Kriegsschiffe in die Hoheitsgewässer.

Nun ist der zweite Versuch eines Hilfgüterkriegs unterwegs. Mehrere Geleitzüge von bis zum Kragen bewaffneten Kriegsschiffen der NATO fahren in diesem Moment ins Schwarze Meer oder kamen schon dort an.

Die „Welt“ schreibt am 23.8.08:

„Eine Prozession westlicher Kriegsschiffe dampft durch den Bosporus ins Schwarze Meer, um Hilfsgüter nach Georgien zu transportieren. Am Donnerstag waren es laut Medienberichten ein spanisches Schiff und die deutsche Fregatte "Lübeck", Freitag folgten zwei US-Schiffe, darunter ein Lenkwaffenzerstörer. Insgesamt sollen sich sieben Kriegsschiffe aus Deutschland, Spanien, Polen und den USA an der Aktion beteiligen. Auch eine Beteiligung Rumäniens, der Ukraine und Bulgariens sei denkbar. Die Transporte sorgen für lebhafte Diskussionen in der Türkei und in Russland. In Russland, weil selbst einige wenige kleinere US-Schiffe angesichts ihrer modernen Bewaffnung als Bedrohung für die russische Schwarzmeerflotte gesehen werden, die vor der georgischen Küste patrouilliert. Außerdem könnten die Luftabwehrwaffen der US-Schiffe einen Teil des georgischen Luftraums abdecken.“

Die indische Zeitung „Indiatimes“ zum gleichen Thema, ebenfalls am 23.8.08:

“A top Russian general accused NATO on Saturday of using humanitarian aid deliveries to Georgia as "cover" for a build-up of naval forces in the Black Sea.

"Under the cover of needing to deliver humanitarian goods, NATO countries continue to boost their naval grouping," Anatoly Nogovitsyn, deputy chief of general staff, told a news conference in Moscow.

"In addition to the Spanish and German frigates that entered the Black Sea basin on August 21, yesterday a Polish frigate and a destroyer of the US navy passed the Bosphorous," he said. "I don't think that this will help stabilise the situation in the region."

NATO says it is holding long-planned exercises, involving US, German, Spanish and Polish vessels, in the Black Sea and that this is not linked to the conflict in Georgia. The exercises, which will include visits in Bulgaria and Romania, began on Thursday and are due to end on September 10.

A US frigate is due to join in the exercises later this week, a NATO spokeswoman said. In addition, the US navy is sending several ships, led by the destroyer USS McFaul, to Georgia with what the Pentagon says are deliveries of humanitarian aid.”

Raketenkreuzer Almirante de Bourbon

“Ein hoher russischer General hat die NATO am Samstag bezichtigt, humanitäre Hilfsgüterlieferungen nach Georgien als Vorwand für den Aufbau von Flottenpräsenz im Schwarzen Meer zu verwenden. Anatoly Nogovitsyn, stellvertretender Kommandierender der „Nachschub-Truppen“, sagte auf einer Pressekonferenz in Moskau: „Unter dem Schutz der Notwendigkeit, humanitäre Hilfsgüter zu liefern, fahren die NATO-Länder fort, ihre Konzentration von Kriegsschiffen im Schwarzen Meer zu vergrößern.

„Zusätzlich zu der deutschen und der spanischen Fregatte [er hält das spanische Kommandoschiff für eine Fregatte, aber es handelt sich um einen extrem modernen Lenkwaffen-Zerstörer mit Stealth-Eigenschaften], die am 21. August in das Schwarze Meer fuhren, haben gestern [22. August] eine polnische Fregatte und ein Zerstörer der US-Marine den Bosporus passiert.“ sagte er, “ich glaube nicht, das wird die Situation in der Region stabilisieren.“

Die Nato erklärt, es fände ein lange vorbereitetes Marine-Manöver im Schwarzen Meer statt, das US-, polnische, deutsche und spanische Schiffe umfasst, und das nichts mit dem Konflikt in Georgien zu tun hat.Das Manöver hätte am Donnertag begonnen, schliesse auch Schiffe Rumäniens und Bulgariens ein und würde am 10 September enden.

Eine US-Fregatte würde die Übungen später in dieser Woche begleiten, sagte eine Sprecherin der Nato zusätzlich. Ausserdem würde die US-Marine eine Anzahl von Schiffen schicken, unter Führung des US-Zerstörers Mc Faul, in Richting auf Georgien, mit humanitären Hilfsgütern.

Soweit die Indiatimes.

U-Boot-Zerstörer Pulaski

Noch am gleichen Tag, dem 23. 8., bringt die Marine-Pressestelle der Bundesmarine eine Pressemitteilung heraus, in der sie abstreitet, die Fregatte Lübeck sei Teil des Geschwaders der Hilfslieferungen. Sie würde vielmehr zu „lange geplanten“ Manövern ins Schwarze Meer geschickt.

Die Frage der langen Planung jener Manöver wird also nun zum Knackpunkt der Glaubwúrdigkeit der NATO. Die Recherchierexperten von world-content-news nun, die Fachleute darin sind, sagen in diesem Artikel (https://worldcontent.twoday.net/stories/5140638/),
die deutsche Fregatte „Lübeck“ habe noch am 4.8.08 folgende Voraussicht für ihre weiteren Einsatz erhalten: "Nächste Woche wird der SNMG 1-Verband ins östliche Mittelmeer verlegen und dort weiter den Seeraum überwachen." [SNMG 1 ist die Nato-Flotte, der die „Lübeck“ zugeteilt ist.] Kein Wort von einem Manöver im Schwarzen Meer.

Auch gibt es internationale Verinbarungen über die Ankündigung von Manövern 3 Wochen vorher, um Manöver von kriegsbereiten Truppenkonzentrierungen unterscheiden zu können. Auf den entsprechenden Web-Sites gibt es keinerlei Ankündigung eines Manövers von Nato-Schiffen im Schwarzen Meer für diese Woche!

Kurz, die Ausrede mit dem Manöver, nachdem die mit den Hilfsgütern nicht mehr zog, ist eine glatte LÜGE der Nato.

Wer an irgendeiner Stelle die Ankündigung des Manövers doch gefunden haben sollte, möge sich hier im Kommentar melden.

Warum sind Konzentrationen von grossen Kriegsschiffen, wie sie im Moment im Schwarzen Meer stattfinden, eine so kriegsmässig interessierende Sache?

Ein typischer Flottenverband, der üblicherweise aus einem Sclachtschiff, einem Flugzeugträger, einer ungenannten Anzahl von U-Booten sowie einer Anzahl von Unterstützungs-Schiffen, wie Fregatten, U-Boot-Zerstörern und Nachschubschiffen besteht, hat eine Feuerkraft, die nur mit ganzen Divisionen von Landtruppen oder Schwadronen von Kampfflugzeugen verglichen werden kann.

Konfliktbeladenes Ex-Imperium

Deshalb werden Manöver, speziell See-Manöver vorher angemeldet und veröffentlicht.

Allerdings haben die USA bzw. deren Verbündete in letzter Zeit bereits mehrfach internationale Vereinbarungen glatt ignoriert. Wer der „Herr der Welt“ ist bzw. dessen Verbündeter, braucht schliesslich auf nichts mehr Rücksicht zu nehmen, oder?

Das begann damit, dass die US-Regierung den Vertrag von Kyoto zur Veringerung des CO2-Ausstosses einfach aufkündigte, den sie selbst mit ausgehandelt und unterschrieben hatte, auch wenn der bei weitem nicht ausreichend war. Seitdem war es nicht möglich, irgendeine Vereinbarung gegen den Klimawandel zu schliessen.

Damit ist in Zukunft die Unterschrift eines US-Präsidenten nicht mehr das Papier wert, auf dem sie steht.

Als nächstes wurde dokumentiert, wie israelische Kampfflugzeuge einen mit einem riesigen roten Kreuz gekennzeichneten Krankentransport-Wagen unter Raketenbeschuss nahmen.

Damit werden sich Krankenwagen-Fahrer in Zukunft zweimal überlegen, ob sie Verletzte in Krisengebieten ins Krankenhaus fahren oder lieber überleben wollen.

Auch US- und verbündte Verletzte würden da zu Opfern solcher Taten.

Das nächste war die faktische Aufkündigung des Atomwaffensperrvertrages. Die Verpflichtung der Atomwaffenstaaten, diese abzurüsten und niemals Nicht-Atomwaffenstaaten mit Atomwaffen anzugreifen oder damit zu drohen, wurde zu den Akten gelegt. Heute ist es offizielle NATO-Strategie, auch Nicht-Atomwaffen-Staaten mit solchen zu drohen und ggf. einzusetzen. Damit kann es sich kein Land, das etwas auf sich hält, mehr leisten, keine Atomwaffen zu haben. Das atomare Wettrüsten der ganzen Welt wurde eingeleitet. Ob das der alleinigen Führerschaft der USA auf der Welt zuträglich ist, sei dahingestellt.

Als nächstes kam der Bruch des Schutzes des Rot-Kreuz-Symbols als nichtbewaffnete Einheit durch den wichtigsten Verbündeten der US-Regierung in Südamerika, Kolumbien. Bei der Befreiungsaktion der Geisel Bettancourt wurde dies Symbol verwendet, obwohl es sich um bewaffnete Truppeneinheiten gehandelt hatte. Damit wird sich auf der ganzen Welt die Praxis verbreiten, auch dann zu schiessen, wenn ein Rotes Kreuz aufgemalt ist, was die Versorgung von Kriegverletzten weitgehend unmöglich machen wird.

Jetzt also auch der Bruch der internationalen Verienbarung über die Ankündigung von Manövern.

Damit erhöht sich die Kriegsgefahr überall auf der Welt, denn jeder Truppenaufmarsch, jedes Zusammenziehen von Kriegsschiffen, jede grössere Bewegung von Kriegs-Flugzeugen wird in Zukunft als Bedrohung und möglichen Kriegvorbereitung gedeutet werden müssen. Was die NATO kann, können die anderen schon lange, oder?

Offenbar war das Spiel mit den Hilfsgütern den Spielern zu heissgeworden. Es wäre extrem einfach gewesen nachzuweisen, de meisten Schiffe des Flottenverbandes, der da ins Schwarze Meer schwappte, waren vorher gar nicht in einem Hafen gewesen, wo sie Hilfsgüter hätten aufnehmen können. So wurde das ganze, das Muskelspiel mit einer beträchtlichen NATO-Flotte im Schwarzen Meer, schnell als Manöver umintepretiert.

Was da im Schwarzen Meer zusammentrifft, ist zwar ohne Flugzeugträger und Schlachtschiff, aber auch so eine beträchliche Bedrohung fúr jeden Anlieger des Meeres, das eigentlich vor solchen Bedrohungen gefeit sein sollte, nach einer internationalen Vereinbarung, wie wir unten noch sehen werden.

Die deusche Fregatte Lübeck ist ein U-Boot-Jäger und hat dazu eine Anzahl Kanonen, Torpedos und zwei Hubschrauber an Bord. Es ist das ideale Schiff im Einsatz gegen andere Schiffe, nicht nur U-Boote – und damit gegen die russische Schwarzmeerflotte.

Das spanische Kommandoschiff der Flotte SNMG1 der Nato, der Raketenkreuzer „Almirante Juan de Bourbon“, ist eines der modernsten Kriegsschiffe Europas, er gilt als U-Boot-Zerstörer, kann aber weit mehr.Vor allem hat er Raketenwerfer und kann mit ihnen „Cruise Missiles“ und andere Raketen abschiessen, die von einer Position in der Nähe der russischen Schwarzmeerküste bis nach Moskau fliegen könnten. Er ist schwer am Radar auszumachen, denn er ist mit Stealth-Technolgie ausgerüstet. Die besteht darin, möglichst wenig glatte Schiffswände dem Radar entgegenstrecken und möglichst viele um 45 Grad geneigte Wände, die Radarstrahlen nur noch zum Teil zurückwerfen, zum grossen Teil aber ablenken. Der Effekt ist, auf dem Bildschirm scheint es sich um ein Fischerboot zu handeln, während da in Wirklichkeit ein todspeiendes Ungehäuer liegt.

Dazu kommt der US-Zerstörer Mc Faul, der ebenfalls „Cruise Missile“ und andere Raketen abschiessen kann, das einzige Schiff, das als Bringer von Hilfsgütern übrig geblieben ist.

Ein anderer Zerstörer dort ist das polnische Schiff „General G. Pulaski“, ein ehemaliges US-Schiff (USS Clark), das man nun unter polnischer Flagge fahren lässt, was die Zahl der US-Schiffe erhöht, ohne unter das US-Kontingent zu fallen.

Noch unter US-Flagge fáhrt dagegen der Lenkwaffen-Zerstörer „USS Taylor“, der ebenfalls zur Flotte gehört, die da eine Drohszenerie aufbauen soll, laut der US-Nachrichtenagentur Associated Press.

Da war noch nicht die Rede von den bulgarischen, den rumänischen und den Schiffen der Ukraine, die ebenfalls dazustossen werden und sowieso schon im Schwarzen Meer sind.

Dann gehört da noch ein weiteres US-Schiff mit dem Namen „Dallas“ zum Flottenaufmarsch, das als Küstenwachschiff bezeichnet wurde. Tatsache ist, dass dort in griechischen Gewässern, gleich vor dem Eingang der Dardanellen, das Atom-U-Boot liegt, das auch den Namen „Dallas“ hat – und damit ist keine Fernsehserie gemeint.

Ein US-Atom-U-Boot im Schwarzen Meer würde allerdings eine extrem ernsthafte Bedrohung Russlands darstellen, denn es könnte von dort aus ohne Vorwarnzeit alle Millionenstädte Russlands mit jeweils einer 20-Megatonnen-Wasserstoffbombe auslöschen.

Da bliebe Russland nur noch die atomare Antwort gegen die USA, was zusammen das Ende der Menschheit bedeuten würde, wie wir sie kennen.

Nun, im Moment kann man wohl davon ausgehen, dass man „nur“ ein gewaltiges Muskelspiel unmittelbar vor der russischen Schwarzmeerküste aufführen will, nach dem Motto: „Russland kusch, sonst wirst du hinweggefegt!“



Ob das den beabsichtigten Zweck erfüllt, darf bezweifelt werden. Wenn es aber darum geht, neue Spannungen zu schüren, um immer neue Krisenherde zu schaffen und mit der steigenden Kriegsgefahr beabsichtigt ist, die Bevölkerung ruhig zu halten, so kommt man den wirklichen Absichten wahrscheinlich näher, denn man rutscht in eine Weltwirtschaftskrise ab.

Dieses Szenario scheint bereits selbst innerhalb der Bundesmarine auf Widerstand oder jedenfalls Bedenken gestossen zu sein. Jedenfalls wurde am Sonntag, den 24.8.08 gemeldet, der Kommandant der Fregatte „Lübeck“ sei (offenbar am Vortag) abgelöst, der neue Kommandant bereits eingeflogen und eingesetzt worden. Und das mitten in einem Übungseinsatz im NATO-Verbund im Schwarzen Meer. Das hat es noch nie gegeben.Es ist aber auch möglich, dass die Zeitung ein bereits zurückliegendes Ereignis wie ein aktuelles verkauft hat.

Nun, der Hilfsgüterkrieg hat wohl bisher erst die Phase der Drohgebärden erreicht, aber alle Kriege fangen so an.



Der nächste internationale Vertrag, der bereits droht, in der Luft zerissen zu werden, ist die Konvention von Montreux aus dem Jahre 1936 . Damals einigte sich die Gemeinschaft der Anliegerstatten des Schwarzen Meeres mit der Türkei, die den Einfahrt ins Schwarze Meer am Bosporus kontrolliert auf eine Höchstzahl von Bruttoregistertonnen, die Kriegsschiffe von Nicht-Anrainern des Schwarzen Meeres dort auffahren dürften. Zu jenem Zeitpunkt war nach Italien und Deutschland auch Spanien faschistisch geworden und man befürchtete, von den Achsenmächten auch über Schiffe im Schwarzen Meer angegriffen zu werden.

Der Vertrag hielt selbst in den schlimmsten Zeiten des 2. Weltkriegs. Sollte es sich aber wirklich um das Atom-U-Boot „Dallas“ handeln, ist er auch schon Schall und Rauch.


Veröffentlicht am 25. August 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Sonntag, 24. August 2008

Brasilien jenseits von Fussball und Samba - Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

Brasilien jenseits von Fussball und Samba, Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

Von Elmar Getto

Es sind nun bald 102 Jahre, dass dem Brasilianer Alberto Santos Dumont in Paris der erste Motorflug gelang, der einwandfrei belegt ist und ohne Hilfsmittel gestartet wurde. Am 23. Oktober 1906 gelang der erste dokumentierte Flug mit der "14 bis", im November folgte mit dem gleichen Modell jener Flug, der den Anforderungen des 'Aero Club de France' entsprach und offiziell als erster Motorflug in die Annalen einging.

Santos Dumont

Brasilianer sind meist sehr empfindlich, wenn ihnen – offen oder implizit - pauschal unterstellt wird, sie seien wenig gebildet, von geringem kulturellen Niveau und/oder niedriger Intelligenz, weil sie aus einem Entwicklungsland kommen. Manche pflegen dann mit dem Argument zu kommen, daß der Erfinder des Flugzeugs, des lenkbaren Luftschiffs und der Armbanduhr, Alberto Santos Dumont, Brasilianer war.

Die Erfindung des Flugzeugs, oder besser gesagt der erste Motorflug, ist eines der höchst kontroversen Themen der internationalen Luftfahrt- und Erfindergeschichte. In den letzten Jahren kam diese Kontroverse aufgrund einer Reihe von Ereignissen erneut an die Oberfläche.

Im Jahr 2000, im letzten Jahr seiner Amtszeit, empfing der US-amerikanische Präsident Clinton eine brasilianische Delegation, an der auch Mitglieder der Familie Santos Dumont beteiligt waren, und bestätigte ihnen, daß die USA offiziell Santos Dumont als den „Vater der Luftfahrt“ anerkennen und nicht mehr auf der These bestehen, die Gebrüder Wright hätten den ersten Motorflug unternommen.

Drei Jahre später dagegen, im Dezember 2003, ließ der jetzige US-Präsident Bush eine Zeremonie in Kitty Hawk, einer kleinen Stadt in North Carolina, ablaufen, die der 100 Jahre des angeblich ersten Motorfluges der Brüder Wright gedenken sollte und hielt dort eine Rede, in der er betonte, die Erfindung der Wrights belege die Überlegenheit des US-amerikanischen Geistes über den anderer Nationen (!!). Die Wiederholung des ersten Fluges mit einer Nachbildung des Flugzeugs der Wrights gelang allerdings nicht. Es hob nicht ab.

Letzthin hat der US-Autor Paul Hoffman, der schon Bücher über andere berühmte Persönlichkeiten, wie Edison, veröffentlicht hat, ein Buch über Santos Dumont geschrieben: „The Wings of Madness – Alberto Santos Dumont and the invention of flight“, Verlag Theia, bei buch.de als ‚hardcover’ erhältlich für € 22,95, bei amazon.de als Taschenbuch für € 14,95. Wer sein Englisch aufpolieren will und über eine faszinierende Persönlichkeit lesen, dem sei es empfohlen. Hoffman bringt in etwa Klarheit, was eigentlich zu jener Zeit als die „Erfindung des Fluges“ angesehen wurde und warum die nationalistischen Ansprüche über ein ganzes Jahrhundert die Aufklärung der Tatsachen verhindert haben.

Zu Ende des 19. Jahrhunderts und Beginn des 20. Jahrhunderts war die Menschheit erfüllt von einer Technologie-Begeisterung. Es schien, als ob durch die Technik alle Menschheitsprobleme beseitigt werden könnten. Nachdem bereits überall Autos über die Straßen holperten, war das nächste anstehende technische Groß-Ereignis der erste Flug. Man hatte noch keine rechte Vorstellung über das Fliegen, sieht man einmal von Jules Verne ab, als ernsthaftes Transportmittel war es eigentlich kaum in Erwägung gezogen worden, schien aber doch ein triumphales Zeugnis des menschlichen Geistes als Überwinder (fast) aller Schranken zu sein.

So setzte im Jahr 1900 in Paris ein reicher Mäzen den „Deutsch-Preis“ aus für denjenigen, der als erster vom nahen 'Champ de Bagatelle' aus in die Lüfte steigen, den Eiffelturm umrunden und heil landen würde. Der Eiffelturm, damals bei weitem das höchste Gebäude der Welt, galt als Wunder der Technik und machte damals Paris zum Anziehungspunkt vieler Jünger des Fortschritts.

Der junge Ingenieur Santos Dumont machte sich auf, diesen Preis zu gewinnen. Er war geboren in Cabangu im Staat Minas Gerais in Brasilien, das sich heute Santos Dumont nennt, am 20. Juli 1873 als Sohn eines brasilianischen Großgrundbesitzers und als Enkel eines französischen Einwanderers.

Was in der Familie nicht fehlte, war Geld. 1891 wird sein Vater gelähmt durch einen Sturz vom Pferd, verkauft seine Besitzungen und geht mit der Familie nach Paris. Er sagt in Erkenntnis des Genies seines Sohnes zu ihm: „Beschäftige dich mit der Mechanik, sie ist die Zukunft.“ So hatte Santos Dumont Mechanik studiert und begann in einer Werkstatt in Paris seine Kenntnisse anzuwenden.

Die Montgolfiers hatten bereits lange vorher gezeigt, daß der Flug „leichter als Luft“ möglich war. Santos Dumont baute Ballons. Er kannte auch die Flüge Otto Lilienthals in Berlin. Es ist eine Besuch in Berlin zum Studium der Unterlagen Lilienthals dokumentiert (auch die Brüder Wright haben alles gesammelt, was man über Lilienthal lesen konnte).

Der Flug „leichter als Luft“ schien aber zunächst schneller zu verwirklichen zu sein. Ein Ballon, wie der der Montgolfiers, war aber nicht steuerbar, er konnte nur mit dem Wind treiben. Um den Eifelturm zu umrunden, mußte man aber ein steuerbares Gefährt haben. So erfand Santos-Dumont das steuerbare Luftschiff. Er gab ihm eine Zigarrenform statt einer runden und für die Steuerung benutzte er ein Steuerruder wie von einem Schiff und einen Luftstrom, den er mit einem Benzinmotor und einem Propeller erzeugte. Scheint heute alles sehr naheliegend, war es damals aber nicht. Allerdings gibt es Erfinder, die bereits vor Santos Dumont die Kombination Benzinmotor-Propeller verwendet haben wollen. Es ist nicht klar, ob Santos Dumont davon wußte oder diese Erfindung parallel gemacht hat.

Im Jahre 1901 hatte Santos Dumont sein sechstes lenkbares Luftschiff fertig und konnte den vorgeschriebenen Flug ausführen. Er gewann den Deutsch-Preis und wurde als Erfinder des Fluges gefeiert. Es ging ein Photo um die Welt, das sein Luftschiff oben am Eifelturm zeigt, während im Vordergrund begeisterte Pariser ihre Hüte auf dem Spazierstock kreisen lassen, um ihn zu feiern. Dieses Photo dürfte damals so ziemlich jeder gesehen haben, der eine Zeitung las. Santos Dumont war berühmt. Paul Hoffman verwendet das Photo als Titelbild seines Buches, hat allerdings Dumonts Luftschiff durch das später von ihm konstruierte Flugzeug ‚Demoiselle’ ersetzt, weil für uns heutige Menschen eben der Inbegriff des Fluges ein Flugzeug und kein Luftschiff ist.

Metallnachbildung 14 bis
Das Bild zeigt eine Nachbildung in Originalgrösse der "14 bis" in Metall, die im Ort Santos Dumont in Brasilien aufgestellt ist.

Nur konnte damals niemand wissen, wie sich die Luftfahrt weiter entwickeln würde. Allerdings war klar, daß es auch noch den Flug „schwerer als Luft“ gab und ein weiteres Ziel sein mußte, einen solchen Flug zustandezubringen, der über die Bergab-Gleitflüge eines Otto Lilienthal hinausginge.

Die höchste Autorität in Flügen war zu jener Zeit der Aero Club de France in Paris. Er setzte einen weiteren Preis aus für den ersten, der einen Flug „schwerer als Luft“ zustandebrächte. Die Bedingungen waren: Es mußte auf dem Gelände des Clubs, dem 'Champs de Bagatelle', stattfinden (um jegliche Zweifel über die genauen wirklichen Umstände des Fluges auszuschließen), das Gerät mußte aus eigener Kraft abheben, eine bestimmte Höhe erreichen, eine vorgesehene Strecke zurücklegen und nach dem Flug sicher landen.

Die Bedingung, daß der Flug auf dem Gelände des Aero Club stattzufinden hatte, sollte auch sicherstellen, daß bei solchen Flugversuchen neutrale und sachkundige Beobachter anwesend waren, die überprüfen konnten, daß keine irgendwie gearteteten Hilfsmittel benutzt wurden und die Regeln eingehalten wurden.

Die relativ umfassenden Regeln wurden aufgestellt, weil es in Frankreich bereits seit Jahren einen Erfinder gab, der angab, er sei bereits mit einem Flugzeug schwerer als Luft geflogen, den französischen Armee-Offizier Clement Ader. Der habe mit einem dampfmaschinen-angetriebenen Propellerflugzeug einen Flug im Jahre 1890 zustande gebracht, der allerdings in weniger als einem Meter Höhe ablief, wie die Zeugen des Fluges berichteten, die aber alle in der französischen Armee waren. Die französischen Armee ließ ihn sein Flugzeug nicht zum Aero Club de France schaffen. Es ist gut möglich, daß in Wirklichkeit Clement Ader den ersten Motorflug durchgeführt hat. Da die Armee aber alles geheim halten wollte, wird dies für die Öffentlichkeit immer ein Rätsel bleiben.

Es war offenkundig, daß ein Flug, der ohne neutrale und sachkundige Zeugen stattfand, nicht als das Ereignis des ersten Fluges anerkannt werden konnte. Genau dieses Argument trifft aber eben auch auf die Gebrüder Wright zu.

Sie waren keineswegs die einzigen, die in den USA am ersten Motorflug arbeiteten. In den Dünen am Südost-Ufer des Michigan-Sees, genannt ‚Indiana Dunes’ tummelten sich eine Anzahl von Erfindern mit Flugversuchen. Warum waren Dünenlandschaften die idealen Orte für Flugversuche – auch die Wright-Brüder hatten ja eine Dünenlandschaft ausgesucht für ihre Experimente, die Meeresdünen in der Nähe von Kitty Hawk?

Dünen bilden sich typischerweise an Stellen mit viel Wind (und Abheben geht leichter mit Gegenwind), in Dünen gibt es die wenigsten Hindernisse, an denen mißglückte Flugversuche enden könnten, sie bieten mit dem Sand eine relativ weiche Unterlage für Bruchlandungen und die Berge der Dünen eignen sich ideal als Abflugpunkt für Gleitflüge, die dem Motorflug vorausgehen mußten.

Santos Dumont hatte genügend Selbstbewußtsein und Kühnheit, nicht in Dünen auszuweichen. Er testete in aller Öffentlichkeit, meist auf dem 'Champ de Bagatelle' und ließ alle auch an den Mißerfolgen teilhaben. Mit einem seiner Luftschiffe stürzte er ab und verlor nur nicht das Leben, weil er sich angebunden hatte und das rasch an Höhe verlierende Luftschiff am Dach eines Hauses im Fauburg St. Germaine hängen blieb (er kannte bereits das Prinzip des Sicherheitsgurtes).

Waren Gleitflüge zum Testen notwendig, hob er mit einem seiner Luftschiffe das Flugzeug vom Boden und ließ es dann los. Hängend an einem Luftschiff macht er auch Schwerpunkt- und Gleichgewichts-Untersuchungen der Fluggeräte (das waren die ersten Flugsimulatoren).

Eine Anzahl derer, die Motor-Flugversuche in den USA machten, berichteten über erfolgreiche Flüge, die lokalen Blätter dort waren in jenen Jahren voll damit, wird auf der Website www.first-to-fly.com berichtet, der Site des Wright-Museums in Dayton, Ohio, wo vehement das „Erstgeburtsrecht“ der Wrights verteidigt wird.

Nur hatten alle diese erfolgreichen Flugversuche eines gemeinsam: Die Zeugen waren nicht neutral und schon gar nicht sachkundig, eventuelle Photos konnten gefälscht sein (und zeigten nicht die Hilfsmittel zum Abheben), die lokalen Zeitungsberichte bewiesen gar nichts und wenn jemand einen Preis aussetzte, und sie aufforderte, ihre Flüge in der Öffentlichkeit zu zeigen, kam niemand. All dies trifft aber eben auch auf die Wright-Brüder zu, wie die genannte Website vergaß zu erwähnen.

Die beiden Brüder Orville und Wilbur Wright, die ursprünglich aus Dayton, Ohio stammten und dort eine Fahrrad-Werkstattt und -Produktion betrieben, arbeiten an Flugexperimenten, die auf den Gleitflügen Lilienthals und anderer basierten, bei Kitty Hawk an der Atlantikküste, wo sie in einem Zelt im Dünengelände kampierten. Im Jahre 1902 konnten sie bereits entsprechende Flüge mit einem Gleiter nachvollziehen.

Dann begannen sie mit dem Einbau eines Benzin-Motors mit Propeller in den Gleiter. Sie starteten von den Dünenhügeln aus oder benutzten eine mit Planken geformte Rutschbahn die Dünen hinab, um dem Flugzeug seine erforderliche Anfangsgeschwindigkeit zu geben. Später konstruierten sie auch ein Katapult für diese Zwecke. Auch wenn starker Gegenwind herrschte, konnten sie kurze Luftsprünge zustande bringen. Einen der so durch äußere Mittel in Gang gebrachten Flüge im Dezember 1903, von dem auch ein Foto gemacht wurde, erklärten sie zum „ersten Flug“. Es konnte nie ganz geklärt werden, welches der Hilfsmittel sie in diesem Fall angewandt hatten, aber sie haben nie verneint, solche Mittel verwendet zu haben.

Damit reduziert sich die Frage, wer als erster einen Motorflug zustande brachte, auf die Fragen, ob man dazu Hilfsmittel zum Abheben zuläßt oder nicht und ob man neutrale und sachkundige Zeugen verlangt oder nicht.

Die ersten Flüge waren sowieso alle nur einige zig oder hundert Meter weit. Eine solche Entfernung hatte auch Lilienthal mit seinem Gleiter zurückgelegt. Waren Hilfsmittel zum Abheben verwendet worden, machte es eigentlich kaum einen Unterschied, ob auf dem „Gleiter“ ein Motor mit Propeller angebracht war oder nicht. Auch mit einem guten Gegenwind konnte man so Gleitflüge vom Typ Lilienthals zustande bringen.

Der Aero Club de France war daher der Meinung, es müsse ein Abheben nur mit „Bordkräften“, also dem Motor an Bord bewerkstelligt werden und viele stimmen heute mit dieser Ansicht überein, denn Gleiter, die auf andere Weise in die Luft gebracht wurden und dann, mehr oder weniger langsam, dem Erdboden zuschweben, hatte es ja längst vorher gegeben. Sogar an Höhe gewinnen kann man ja mit Gleitern, wie uns die Segelflugzeuge zeigen.

Während dieser Zeit hatte Santos Dumont begonnen, seine Popularität zu genießen. Er lebte in einem Luxus-Appartment an den Champs Elysees und hatte vor seinem Fenster das Luftschiff angebunden. Zum Abendessen bestieg er es und flog zum Restaurant Maxim, dem feinsten in Paris zu jener Zeit, um dort mit einigen seiner Bewunderer zu speisen. Er war nach neuester Mode gekleidet und sein großer „Schlapphut“ wurde zum Markenzeichen.

Bezeichnend für seine Popularität war, was die kleine örtliche Zeitung in Kitty Hawk als Überschrift wählte, als sie im Dezember 1903 ihren Lesern das ankündigte, was später als der erste Motorflug bezeichnet wurde. Die Wrights hatten die örtliche Zeitung benachrichtigt, daß ihnen ein Flug gelungen sei. Sie sagte in der Überschrift, die Brüder Wright würden dem „Großen Santos Dumont“ nacheifern. Damals waren die feinen Unterschiede zwischen einem Flug schwerer oder leichter als Luft nicht vielen geläufig und der ‚erste Flug’ hatte ja schon stattgefunden, man hatte ja die Bilder aus Paris gesehen.

Eines der wesentlichen Probleme, das zu jener Zeit den ‚ersten Motorflug’ noch nicht möglich machte, war die zögerliche Entwicklung der Benzin-Motoren und der Propeller. Motoren von der Größe eines heutigen 12-Zylinders brachten damals gerade mal 1 PS zustande und das ergab wenig als Vorschub, da auch die Propeller noch extrem einfach waren. Die Aufgabe der Konstrukteure war fast unlösbar unter diesen Umständen, denn jedes noch so leichte und gut konstruierte Flugzeug braucht eben mindestens 50 bis 60 Km/h als Abhebegeschwindigkeit, wie man heute weiß. Das war aber mit diesen Motoren und Propellern noch nicht zu schaffen.

Dadurch war es logisch, daß man normalerweise Starthilfen brauchte.
Der Wettbewerb ging im Kern also darum, wer ein so leichtes Flugzeug konstruieren konnte (einschließlich Motor) und mit der Flügelform soviel Auftrieb erzeugen konnte, daß es bei unter 50 km/h abhebt. Wenn dies so ist, dann ist natürlich die Frage ausschlaggebend, wie man abhebt. Damit wird die Frage der Hilfsmittel zum Abheben zur Scheidelinie.

Santos Dumont hatte - wenn man so will - einen unfairen Vorteil. Er hatte japanische Seide als teuren, aber extrem leichten und festen Konstruktionsstoff sowohl für seine Ballons und Luftschiffe, aber dann auch für die Bespannung des Holzgestells seiner Flugzeuge entdeckt. Andere Pioniere der Luftfahrt hatten nicht so viel Geld und mußten ihre Versuche mit groben und schweren Stoffen durchführen.

Replik '14 bis'
Dies Bild zeigt eine Replik eines früheren Flugzeuges von Santos Dumont. Hier hatte er noch nicht die Idee entwickelt, ein zweites Flügelpaar in einiger Entfernung vom ersten an einem Rumpf anzubringen. Diese "Nur-Flügel"-Flugzeuge, wie auch das der Brüder Wright von 1903, konnten schon Luftsprünge zustande bringen, aber noch keinen stabilen Flug.

Der erste Motorflug Santos Dumonts vom Oktober 1906, der genau dokumentiert ist, läßt die Berechnung zu, daß er mit 42 (nach anderer Version 46) km/h absolviert wurde. Selbst ein heutiges Ultraleichtflugzeug hebt noch nicht ab bei dieser Geschwindigkeit. Er mußte also etwas schaffen, was auch heutige Konstrukteure vor größte Schwierigkeiten gestellt hätte. Man kann also seine Leistung gar nicht hoch genug einschätzen.

(Dies alles änderte sich nur wenige Jahre später, als die Militärstrategen in der Vorbereitung des 1. Weltkrieges das Flugzeug als Waffe bzw. Waffenträger entdeckt hatten und von allen auf den Krieg zusteuernden Ländern Unsummen in die Entwicklung der Motoren- und Propellertechnik gesteckt wurden. Pünktlich zum Beginn des 1. Weltkrieges 1914 hatten alle Beteiligten bemerkenswerte Flugzeuge fertig.)

Doch wir sind immer noch in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts. Santos Dumont wußte, daß die USA eine aufstrebende Macht waren und zeigte seine Reverenz. Im Jahre 1902 erreichte er mit einem Dampfer die neue Welt, um „das größte lenkbare Luftschiff“ vorzuführen. Die Zollbehörden im Hafen von New York wollten aber einen Einfuhrzoll von 45% des Wertes des Luftschiffs, bevor sie es in das Land ließen. So mußte Santos Dumont auf die Vorführung verzichten.

Er traf aber mit dem damals auch schon berühmten Erfinder T. A. Edison zusammen. Laut P. Hoffman habe Edison gesagt: „Ich habe immer geglaubt, daß der Mensch wird fliegen können, aber Sie waren der einzige, der dies verwirklichen konnte.“ Santos Dumont habe geantwortet: „Wenn Sie sich der Luftfahrt gewidmet hätten, hätten Sie vor mir Erfolg gehabt.“

Edison war beeindruckt von Santos Dumont und bat den Präsidenten „Teddy“ Roosevelt, Santos Dumont zu empfangen. So geschah es. Bei einem Diner mit dem Präsidenten im Beisein der Presse sprach Santos Dumont, der neben seiner Muttersprache Portugiesisch auch fließend Französisch und Englisch sprach, das erste Mal von der Möglichkeit von Passagierflügen und von transatlantischen Flügen, was höchste Aufmerksamkeit erregte. Er benutzte dort auch zum ersten Mal das Wort ‚Flughafen’ (Airport), von wo die großen ‚Luftschiffe’ die Passagiere auf ihre Reisen tragen würden.

Zwei Jahre später, im Jahre 1904, war Weltausstellung in St. Louis, Missouri. Die Veranstalter hatten einen Preis von 100.000 Dollar (das repräsentierte zu jener Zeit weit mehr als heute 1 Million Dollar) ausgesetzt für jemanden, der auf der Ausstellung einen wirklichen Flug zeigen würde. Santos Dumont war bereit, ihnen diesen Gefallen zu tun. Er brauchte dieses Geld nicht, liebte es aber, im Mittelpunkt zu stehen. Inzwischen hatte er ein noch größeres Luftschiff konstruiert und mitgebracht und hatte es auch geschafft, die Zoll-Barriere zu überwinden.

In der Nacht vor seinem großen Flug allerdings wurde die Hülle seines Luftschiffs heimlich von Unbekannten mit Messern zerschnitten und er mußte seine Demonstration ausfallen lassen. Das gleiche war ihm bereits ein Jahr zuvor in London passiert, wo er ebenfalls seine Flüge hatte vorführen wollen. Die Täter wurden in beiden Fällen nie gefaßt. Es gab also auch Neider, eventuell spielte hier auch schon Nationalismus eine Rolle.

Um diese Weltausstellung rankt sich auch eine der wesentlichen Polemiken zwischen Santos Dumont und den Gebrüdern Wright. Der Ruf nach einem Flug auf der Weltausstellung war vor allem an alle jene US-Amerikaner gerichtet gewesen, die bereits über erfolgreiche Flüge berichtet hatten. So hatten nach ihren eigenen späteren Angaben die Gebrüder Wright zu dieser Zeit bereits ein funktionierendes Fluggerät „schwerer als Luft“. Da es den Wright-Brüdern hauptsächlich darauf ankam, Geld mit ihrer Erfindung zu verdienen, wäre es logisch gewesen, in St. Louis aufzutauchen und den Preis abzukassieren. 100.000 Dollar hätten sie aller Geldsorgen ledig werden lassen, der Traum ihres Lebens wäre war geworden und sie wären als die Pioniere des Fluges gefeiert worden.

Es bleibt nur die Vermutung, daß sie befürchten mußten, daß ihr Flug wegen der benutzten Hilfsmittel zum Abheben nicht anerkannt werden würde. Da ihnen keine unbegrenzten Geldmittel zur Verfügung standen, wären sie dann auf den Schulden aus den Transportkosten sitzen geblieben.

Während Santos Dumont die Möglichkeit hatte, keine Patente anzumelden, sondern seine Erfindungen der Menschheit zur Nutzung zu präsentieren, waren die meisten anderen Erfinder jener Epoche (und nicht nur jener Epoche) auf das Geld angewiesen, das sie hofften, damit zu verdienen. So hielten sie, wie auch die Wright-Brüder, ihre Erfindungen so weit wie möglich geheim. Die beiden Wrights meldeten ein Patent an, aber unerklärlicherweise gingen sie nach der Patentanmeldung nicht in die breite Öffentlichkeit, z.B. auf die Weltausstellung in St. Louis, sondern verheimlichten weiterhin, was sie erreicht hatten. Dies allerdings ließ deutliche Zweifel über die genauen Umstände der Flüge aufkommen.

Die Gebrüder Wright gaben an, in den Jahren von 1903 bis 1906 viele Flüge absolviert zu haben. Allerdings gibt es außer Freunden und Bekannten von ihnen keine Zeugen dafür. Auch die Bewohner von Kitty Hawk, von denen einige Flüge gesehen hatten, gaben äußerst unterschiedliche Angaben über deren exakte Umstände.

Einmal in diesem Zeitraum luden die Brüder auch die Presse von außerhalb von Kitty Hawk zu einer Vorführung, aber an diesem Tag hob das Flugzeug nicht ab. Die Photos, die existieren, zeigen nicht, ob und welche Hilfsmittel zum Abheben benutzt wurden. Allerdings gibt es auf der oben genannten Website des Wright-Museums ein Photo, nach den dortigen Angaben von 1904, wo ein Katapult zu sehen ist, das nach Angaben der Site von den Wrights für Flugversuche auf dem ebenen Gelände „Huffmann Prairie“ verwendet wurde. Dies deutet darauf hin, daß sie auch zu diesem Zeitpunkt das Flugzeug nicht ohne Hilfsmittel in die Luft bekamen.

Wie auch immer, Santos Dumont arbeitete am Motorflug in Paris. Bis Oktober 1906 hatte er vierzehn verschiedene Flugzeuge mit Benzinmotor konstruiert und ohne Erfolg getestet. Er versuchte nun mit einer leicht geänderten Version des vierzehnten erneut zu fliegen, die er ‚14 bis’ (14 einhalb) getauft hatte. Tatsächlich konnte er am 23. Oktober 1906 einen kurzen Flug absolvieren vor den staunenden Augen der Fachleute des Aero Club de France und Journalisten aus verschiedenen Ländern.

Dies gilt heute als der erste registrierte Motorflug.


Erster Flug Santos Dumont 14 bis
Dies ist eine Photographie des damaligen ersten Flugs vom 23. Oktober 1906 von Santos Dumont, aufrecht stehend in dem '14 bis'. Es zeigt nicht nur den Flug, sondern auch die Menschenmenge auf dem 'Champs de Bagatelle' und die Reporter.

Im darauffolgenden Monat, dem November 1906, konnte er mit dem gleichen Flugzeug und vor einer noch größeren jubelnden Menge auch eine längere Strecke fliegen und so die Bedingungen des Preises des Aero Club de France erfüllen. So wie den ersten Preis für sein Luftschiff, hat er auch dies Preisgeld unter seinen Mechanikern verteilt.

Die Kunde ging um die Welt, daß Santos Dumont nun auch der Pionier bei den Flügen schwerer als Luft war. Dies rief aber bei weitem nicht so viel Aufsehen wie sein erster Luftschiff-Flug hervor, denn man wußte zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht, daß die Zukunft den Flugzeugen und nicht den Luftschiffen gehören würde. Vor dem Gelände des Aero Club de France wurde ein Gedenkstein aufgestellt, der bis heute zu sehen ist und den ersten registrierten Motorflug ‚schwerer als Luft’ durch Santos Dumont feiert, das war in diesem Fall der vom November 1906.

Die Gebrüder Wright hatten bei den Flugzeugen, mit denen sie bis zu diesem Zeitpunkt geflogen waren, im wesentlichen ein reines Flügel-(Doppeldecker-)Flugzeug verwendet. Lediglich sehr kleine Stabilisierungsflächen wurden vor und hinter dem doppelten Flügel angebracht. Dadurch war der Flug extrem instabil.

Eine wichtige Neuerung Santos Dumonts war nun, neben dem verstärkten sebstgebauten Motor und der verbesserten Propellerform, dem Flugzeug einen Längskörper zu geben. Am Ende (oder Anfang) dieses Längskörpers war ein weiteres, kleines (Doppeldecker-) Flügelpaar, so wie wir es heute (als Einfachdecker) von allen Flugzeugen kennen. Dies war das erste Mal, dass jemand mit zwei Flügelpaaren in einigem Abstand arbeitete.

Die so erreichte Stabilität war für seinen ersten Flug gar nicht so ausschlaggebend, denn der ging sowieso nur geradeaus, beeinflußte aber entscheidend die Schnelligkeit der weiteren Entwicklung der Flugzeuge. Im Fall des ‚14 bis’ war das kleinere Flügelpaar vorne, nicht hinten, wie wir es heute gewohnt sind, aber das änderte sich schon bei seinem nächsten Flugzeug im darauffolgenden Jahr.

Santos Dumont legte die Konstruktionszeichnungen des ‚14 bis’ offen und stellte sie allen Interessierten zur Verfügung, im Gegensatz zu allen anderen, die vorher Motorflüge versucht hatten. Dies war grundlegend für die nun einsetzende schnelle Entwicklung im Flugzeugbau. Es ist unbekannt, ob die Brüder Wright eine solche Konstruktionszeichnung zu sehen bekommen haben, ist aber wahrscheinlich.

Tatsache ist, das nächste Flugzeug der Brüder hatte das stabilisierende Flügelpaar viel weiter entfernt vom Hauptflügelpaar als die vorherigen Ausgaben. Damit gewann das sowieso schon hervorragende Projekt der Wrights die notwendige Stabilität und sie konnten beginnen, Kurven zu fliegen und ein Höhensteuer einzusetzen.

Im Jahre 1908, zwei Jahre nach Santos Dumonts Erstflug (dieser arbeitete schon an seinem übernächsten Flugzeug), erschienen die Brüder Wright in Paris und führten ihr neues Flugzeug vor. Dieser Flug ist als vierter Motorflug überhaupt registriert worden. Jetzt hatten sie einen stärkeren Motor (sie hatten ihn in Frankreich gekauft), konnten ohne Katapult und Gegenwind abheben und konnten auch bereits Kurven und auf- und abwärts fliegen.

Zu diesem Zeitpunkt war ihr Flugzeug das fortgeschrittendste. Diese Tatsache, so meint jedenfalls die Site des Wright-Museums, belege, daß ihnen der Vorrang gebühre, unabhängig davon, ob sie wirklich den ersten Flug mit Motorkraft und ausreichend Zeugen durchgeführt hätten. Zunächst war dieses Flugzeug allerdings für die Weiterentwicklung der Flugzeuge nicht so ausschlaggebend, denn die Wrights legten ihre Konstruktionspläne nicht offen.

Wie selbst die Site des Wright-Museums zugibt, haben die Gebrüder Wright zeitlebens nie behauptet, den ersten Motorflug durchgeführt zu haben. Was sie wollten, war eine Erfindung zu machen, die sich verkaufen ließ, an eine große Firma oder am besten gleich an das US-Militär, so daß sie von Geldsorgen frei wurden. Dieses Ziel haben sie erreicht, wenn auch mit Verspätung. Im Jahr 1909 zeigte das US-Militär erstmals Interesse und im weiteren Verlauf konnten sie ihre Erfindung an den US-Staat verkaufen und bekamen wahrscheinlich einen guten Batzen Geld dafür. Über den Umweg über die ersten Flugzeuge der US-Luftwaffe kamen so die Detailideen der Wrights auch generell in den Flugzeugbau.

Ein Jahr nach dem Auftreten der Wrights in Paris kam Santos Dumont mit dem ersten Flugzeug heraus, das den heutigen Menschen an das erinnert, was er auf den Flughäfen der Welt ständig zu sehen bekommt, der ‚Demoiselle’.

Er hatte das Doppeldeckerkonzept verlassen, denn nun war sein selbst konstruierter Motor stark genug, eine hohe Geschwindigkeit zu erzeugen (77 km/h, schon kurz danach überboten, aber zu diesem Zeitpunkt sensationell schnell). Damit war der zusätzliche Auftrieb des zweiten Flügels (der aber eben auch zusätzlichen Luftwiderstand brachte) nicht mehr nötig. Die Demoiselle war ein Eindecker mit einem Rumpf und am Ende zwei kleineren Flügeln und einem senkrechten Leitwerk, das Kurven-Fliegen erleichterte (das hatte die '14 bis' noch nicht gehabt).

Zwar war die ‚Demoiselle’ ein kleines Flugzeug, heute würde man es als „Ultra-Leicht-Flugzeug“ einstufen, aber sie war erneut ihrer Zeit voraus. Heute könnte die ‚Demoiselle’ in jedem Wettbewerb von Ultra-Leicht-Flugzeugen mithalten. Wiederum legte Santos Dumont die Konstruktionspläne offen und half damit ungewollt den Militärs der großen Mächte auf die Sprünge, die nun Flugzeuge konstruieren wollten.

In den darauffolgenden Jahren, speziell als die USA in den Ersten Weltkrieg eingetreten waren und als der Welt stärkste Macht aus ihm hervorgingen, arbeiteten US-Nationalisten an einer Legende der Wright-Brüder und schafften es, bis zum Ende der Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts die These, die Wrights hätten den Motorflug erfunden, zur Standardformel in vielen Ländern, so auch hier in Deuschland, zu machen. Wenn man die Site des Wright-Museums richtig versteht, haben sich die Brüder Orville und Wilbur Wright an dieser Legendenbildung nicht beteiligt. Daran sollten sich alle Nationalisten ein Beispiel nehmen.

Auf der anderen Seite gibt es auch nationalistische Bestrebungen in bestimmten brasilianischen Kreisen, die u.a. versuchen, die Verdienste der Gebrüder Wright zu schmälern. Auch dies hilft der Sache bestimmt nicht weiter. Santos Dumont selbst war nie brasilianischer Nationalist. Er verstand sich als Weltbürger. Wahrscheinlich hätten sowohl die Brüder als auch Santos Dumont nur gelacht, wenn sie gehört hätten, daß jemand, auf ihrer Erfindung basierend, die Überlegenheit des Geistes einer Nation konstatiert hätte.

Auch in Deutschland kennen wir solche nationalistischen Anwandlungen. Die Luftschiffe werden hier ‚Zeppeline’ genannt, so als ob Graf Zeppelin sie erfunden hätte. Er hat sie aber verbessert.

Santos Dumont war am Ende seines Lebens 1932 verbittert, denn er fühlte sich um den einzigen Lohn gebracht, den er für sich beanspruchte, den Ruhm, der erste gewesen zu sein. Er verstand nicht, warum die Behauptungen einiger US-amerikanischer Blätter überall in der Welt nachgebetet wurden, während der Gedenkstein, auf dem sein Name eingraviert war, keine Rolle mehr spielen sollte.

Einige haben seinen Selbstmord damit in Zusammenhang gebracht, aber der hatte wahrscheinlich mehr mit seiner Krankheit zu tun. Multiple Sklerose- Patienten beginnen öfters den Willen zum Leben zu verlieren.

Sowohl die Wrights als auch Santos Dumont haben wesentlichste Pionier-Beiträge zum Motorflug geleistet und ragen damit unter allen heraus, die Motorflug-Versuche unternommen haben. Bezüglich des Erstflug-Rechts sollte man sich darauf einigen können, daß die Wrights die ersten bedeutenden Motorflüge mit Hilfsmitteln zum Abheben absolviert haben, während Santos Dumont der erste registrierte und ohne Hilfsmittel gestartete Flug zugeschrieben werden muß.

Santos Dumont darf ohne Übertreibung einer der großen Männer des Zwanzigsten Jahrhunderts genannt werden. Wer der ganzen Komplexität seines Genies nähertreten will, dem sei, wenn er einmal nach Brasilien kommt, der Besuch im Haus von Santos Dumont in Petropolis empfohlen, nicht weit von Rio de Janeiro entfernt. Die Konstruktion dieses Hauses sollte beweisen, daß ein Mensch auf einer kleinen Fläche komfortabel leben kann. Jetzt hatte er aber schon schwer mit einer rätselhaften Krankheit zu kämpfen, wahrscheinlich war es Multiple Sklerose.

Santos Dumont ist kein reiner Mechaniker. Er beschäftigt sich mit vielen Problemen der Menschheit. Er ist ein Visionär. So erfindet er unter anderem auch die Armbanduhr. Er baute nicht die Uhr zusammen, sondern kam auf die Idee, eine Uhr mit einem Band versehen zu lassen und am linken Handgelenk zu befestigen. Keinen geringeren als Cartier, einen Bekannten aus Paris, läßt er diese Uhr fertigen.

Nach ihm ist als einzigem Brasilianer ein „Meer“ auf dem Mond benannt, ein Krater von 8 km Durchmesser am Abhang der „Apenninen“, nahe der Stelle, wo „Apollo 15“ landete.

Brasilien (topographisch)

1932 engagiert er sich noch, bereits sehr krank, in der Sezessionsbewegung, die der Staat São Paulo gegen die brasilianischen Union führte. Er bittet seine Landsleute aus Minas Gerais, sich der Sezession anzuschliessen, hat aber keinen Erfolg.

Der brasilianische Diktator Getulio Vargas bekämpft die Sezession mit harter Hand. Es werden Flugzeuge zur Bombardierung eingesetzt. Als einige dieser Flugzeuge über ihn in Guarujá an der Küste São Paulos hinwegfliegen und er kurz danach die explodierenden Bomben im benachbarten Hafen von Santos hört, sagt er: „Meine Erfindung hat der Menschheit nur Unheil gebracht.“ Noch am gleichen Abend erhängt er sich.

Dieser Artikel erschien zum ersten Mal in den Zeilen von "Rbi-aktuell" am 24. März 2005, hier leicht redigiert vom Verfasser.


Hier die Links zu allen Teilen der Reihe „Brasilien jenseits von Fussball und Samba“

- Teil 1: „Wie der Amazonas zu seinem Namen kam“

- Teil 2: ‚Menschenfresser-Country’

- Teil 3: „Ausgerottete Künstler“

- Teil 4: Niemeyer ist 100 – ‚Auf dem Höhepunkt des Schaffens’

- Teil 5: Brasilien und Gold

- Teil 6: Die Landschaften Brasiliens – Der Amazonas-Regenwald

- Teil 7: Brasilien und der Strom

- Teil 8: Die Landschaften Brasiliens – Mata Atlântica

- Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

- Teil 10: SIVAM – Big Brother in Amazonien

- Teil 11: Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

- Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

- Teil 13: Wie unsere Zukunft in der beginnenden kapitalistischen Barbarei aussähe – „Ich habe kein Leben“

Freitag, 22. August 2008

Verhältnismässigkeit und Heuchelei - Ist Russland der Aggressor?

Zum Ossetien-Krieg

Von Karl Weiss

Ein etwas ungewöhnliches Argument wurde von Präsident Bush angesichts des Ossetien-Krieges vorgebracht und wird nun in allen westlichen Medien nach Möglichkeit breitgetreten. Die VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT sei nicht gewahrt worden von Russland, so tönt es es uns nun tagaus, tagein, aus den Zeitungen, Magazinen und Fernsehröhren entgegen. Deshalb sei Russland ein Bösewicht, denn in Kriegen müsse man verhältnismäßig vorgehen.

Gebäude in Gori nach russischem Luftangriff

Das ist allerdings neu. Der Frage der Verhältnismässigkeit hatte man vorher nie Beachtung geschenkt. Als zum Beispiel im Juli 2005 Israel sein Nachbarland Libanon mit einem Voll-Krieg überzog, mit massiven Luftangriffen auf die Hauptstadt und andere Städte und Dörfer, die insgesamt über 5000 Zivilopfer forderten, mit einem Vorrücken der eigenen Truppen ins Nachbarland auf breiter Front, mit zeitweiser Besetzung eines Teilgebietes des Nachbarlands, mit massiven Bombardierungen der Infrastruktur wie Strassen, Brücken, Häfen, Flughäfen und Kraftwerken, gegen Truppen Libanons, das militärisch lächerlich unterlegen waren, da hörte man aus allen diesen Kehlen nicht ein einziges Mal das Wort Verhältnismässigkeit.

Was war damals der angegebene Grund, warum Israel so viele Menschenleben – auch eigener Soldaten - opferte? Eine israelische Patrouille an der Grenze beider Länder (auf welcher Seite der Grenze blieb umstritten) war von Guerillakämpfern von libanesischer Seite angegriffen worden. Zwei Soldaten starben, zwei andere wurden verletzt gefangen genommen. Solche Grenzzwischenfälle gibt es an den verschiedensten Spannungspunkten häufig, z.B. zwischen Nord- und Südkorea. Wenn da jedesmal ein Krieg begonnen würde, dann hätten wir noch zig Mal mehr Kriege als jetzt schon.

ambulancehit
Kriegsverbrechen von Israel im 2. Libanonkrieg: Von einer Luft-Boden-Rakete getroffener Ambulanzwagen

Vier tote Soldaten (kürzlich stellte sich heraus, auch die beiden Gefangenen waren gestorben), ist das ein ausreichender Grund für einen Angriff in voller Breite und Tiefe mit Tausenden Toten, zehntausenden Verletzten, der Zerstörung der Infrastruktur eines Landes? Also jede denkbare Art von Verhältnismässigkeit ist da offensichtlich nicht gewahrt.

Genau jene Regierungen, sei es die der USA, der Bundesrepublik, von Frankreich, England, Polen oder Tschechien, die jetzt so viel von Verhältnismässigkeit reden und Russland so behandeln, als sei es der Agressor, hatten damals die Frage der Verhältnismässigkeit völlig vergesen und argumentierten immer und immer wieder, Israel habe das Recht auf Selbstverteidigung. Warum ein Überfall auf ein anderes Land unter die Kategorie Selbstverteidigung fällt, hat man aber vergessen uns zu erklären.

Vergleicht man nun, was da jetzt in Süd-Ossetien geschehen ist, so ist die russische Antwort weit weniger problematisch als der Krieg, den Israel da eröffnete. Aber wer zwei Masse, zwei Gewichte anwenden will, der tut es eben. Die Empörung über Russland ist nichts als Heuchelei.

In Süd-Ossetien wurde nämlich nicht auf einen geringfügigen Grenzschwischenfall geantwortet, sondern auf einen Überfall mit militärischer Macht, (Bodentruppen, Panzer, Bombardierungen) von Georgien auf ein Gebiet, das sich für unabhängig erklärt hatte und in dem man keinerlei reale Macht ausübte. Dazu kam, in Süd-Ossetien waren russische Friedenstruppen stationiert und ein wesentlicher Teil der Bewohner hat die russische Staatsbürgerschaft. Von den stationierten russischen Soldaten dort wurden mindestens 100 getötet, davon ein Teil mit Genickschüssen, also offensichtlich kriegsverbrecherisch hingerichtet.

Ein Vergleich mit dem geringfügigen Grenzschwischenfall an der israelisch-libanesischen Grenze kann also nicht gezogen werden.

Nun argumentiert man im „Westen“, sprich von seiten der US-Regierung und allen in ihrem Hintern, es handele sich um einen integren Teil Georgiens und Georgien könne im eigenen Land schliesslich machen, was es wolle. Allerdings wendet man dies (Konflikte innerhalb eines Landes gehen niemanden ausserhalb etwas an) in anderen Fällen nicht an, so hat man den reinen innersudanesischen Konflikt in Darfour bereits mit einer Verhaftung des Staatspräsidenten des Sudan beantwortet, sobald man seiner habhaft werden kann. Als sich im damaligen Serbien ein Konflikt in der Provinz Kosovo anbahnte, mischte man sich noch viel intensiver ein und bombardierte Serbien zurück in die Steinzeit (in extrem VERHÄLTNISMÄSSIGER Weise).

Kosovo

Daneben ist auch der eigentliche Kern dieses Arguments nicht zutreffend. Es gibt keinen völkerrechtlich bindenden Anspruch von Georgien auf Süd-Ossetien (genausowenig wie auf Abchasien). Völkerrechtlich bindende Staatsgrenzen für alle Länder wurden jeweils nach beiden Weltkriegen definiert und dann erneut, als die unter Kolonial-Joch stehenden Staaten in die Unabhängigkeit entlassen wurden (im wesentlichen in den Vierziger- und Fünfziger-Jahren).

Bevölkerungsgruppen in Jugoslawien 1991

Die so festgelegten Staaten und deren Grenzen, das war bis zum Beginn der Jugoslawien-Auflösung unter allen Ländern einmütig, waren nicht veränderbar, mit der einzigen Ausnahme, wenn die Regierung des jeweiligen Staates dem selbst zustimmte (das war zum Beispiel der Fall, als sich die Tschechoslowakei in Tschechien und Slowakien aufteilte).

Was aber war der Fall in Süd-Ossetien, in Abchasien, in Berg-Karabach und in Transnistrien? Diese Teile von sowjetischen Republiken erklärten sich zum gleichen Zeitpunkt unabhängig wie jene Republiken selbst, die ja zu jenem Zeitpunkt 1991 oder etwas später aus der zerfallenden Sowjetunion austraten und neue Staaten bildeten.

Diese Staaten und Grenzen waren sowjetische Republiken gewesen und entsprechend den sowjetischen Bedürfnissen gebildet worden. Es gab neue Grenzziehungen, Zusammenfassungen mit Nachbarrepubliken, Umsiedlung ganzer Volksgruppen mit nachfolgenden Grenzkorrekturen und ähnliches in den Jahren (von 1917 bis 1991) der Sowjetunion. Im Lichte internationalen Rechts hatten also jene Teile von Sowjetrepubliken das gleiche Recht wie die Republiken als solche, sich zu unabhängigen Staaten zu erklären.

Da es keinen Präzedenzfall gab, konnte auch kein internationales Recht greifen, denn die Auflösung eines so riesigen Bundestaates (der flächenmässig grösste auf der Erde) war ohne Beispiel.

Tatsache ist, die anderen Länder erkannten die vier Abspaltungen nicht an und taten so, als seien die Grenzen von ehemaligen Sowjetrepubliken ebenfalls unveränderbar wie jene der international festgeklopften Staaten. Andererseits aber haben die Ex-Republiken der Sowjetunion, in denen sich Teile für unabhängig erklärten, in keinem der vier Fälle alle die Jahre seit 1991 die tatsächliche Herrschaft in den abgespaltetenen Teilen. Dort gab es vielmehr eigene Regierungen, die Truppen und Polizei-Einheiten aus dem Staat, der die Souveränität dort beanspruchte, nicht akzeptierten, hinausjagten oder bestenfalls in Teilgebieten der abgespaltenen Teilrepublik zuliessen bzw. nur zeitweise.

An dieser Stelle greift aber nun internationales Recht. Wer eine Abspaltung faktisch zulässt und über Jahre überhaupt keine Souveränitat im abgespaltenen Teil ausübt, verliert den Anspruch auf jene Teile. Dies gilt erst recht, wenn dort „Friedenstruppen“ von einer benachbarten Grossmacht stationiert sind und man dies auch über Jahre hinweg hingenommen hat.

Mit anderen Worten: Georgien hatte, als es angriff, schon gar kein eindeutiges Anrecht auf Süd-Ossetien mehr. Es war schlicht und einfach ein Angriffskrieg auf einen anderen Staat, auch wenn Süd-Ossetien nicht international anerkannt war (nicht einmal von Moskau). Wenn zum Beispiel US-Friedenstruppen in einem Staat statioiert sind, dann nimmt sich die USA selbstverständlich das Recht heraus, einen Angiff auf diesen Staat und seine dortigen Truppen als einen Angriff auf sich selbst zu interpretieren. In diesem Fall tat das Russland und schon wird behauptet, Russland sei der Agressor.

Es ist überhaupt interessant, in diesen Tagen westliche Mainstream-Medien zu lesen bzw. zu sehen. In unglaublicher Weise identisch, wird verdreht, unterschlagen, einseitig berichtet, die Gegenseite nicht zu Wort kommen gelassen, werden Halbwahrheiten veröffentlicht und geheuchelt, dass es eine Art hat.

Russland war der Angreifer, nun muss man aber einen anderen Ton mit Russland anschlagen, es geht nicht mehr so weiter, dass man so tut, als sei Russland harmlos – kurz: Es wird auf Russland eingeschlagen, als ob Russland einen Angriffskrieg gestartet hätte. So haben denn in Umfragen auch beträchtliche Teile der zum Ossetienkrieg in den USA Befragten geantwortet, Russland habe das Nachbarland überfallen.

Gleichschaltung ist das einzige Wort, das auf diese Medienkampagne passt, auch wenn dies Wort Erinnerungen weckt, die nicht direkt vergleichbar sind.

Charakteristisch der Zwischenfall, als das Zeugnis einer 12-jährigen Südossetin über den rücksichtslosen Angriff des georgischen Militärs gegen die ossetische Zivilbevölkerung im Fernsehen bei Fox News gezeigt werden sollte. Den Eimnleitungssatz liess man sie sprechen, dann wurde ausgeblendet. Was sie da zu sagen hatte, passte nicht ins Bild.

Wer das Interview mit dem Mädchen vollständig sehen will, hier ist es: https://youtube.com/watch?v=H8XI2Chc6uQ

Nicht dass etwa die russischen Medien nicht auch einseitig berichtet hätten, aber in diesem Fall war eben der Angreifer Georgien, das von einem Statthalter der USA regiert wird. Der Angriff war also mit höchster Wahrscheinlichkeit von den USA angeordnet worden, weil man nun Russland als neuen Buhmann aufbauen will.

Auf jeden Fall weiss man, bei der kürzlichen NATO-Tagung wurde Georgien als Beitrittskandidat genannt, „wenn man die offenen territorialen Fragen klärt“. Es gab nur einen Weg für Georgien, die zu versuchen zu klären: Der Einmarsch in die abtrünnige Provinz. Man hat diesen Einmarsch also zumindest nahegelegt.

Unter diesen Umständen Russland als den Aggressor zu brandmarken ist schon ein starkes Stück.

Nun ist Russland natürlich kein armes, geplagtes Land, das keinerlei Dreck am Stecken hat, im Gegenteil. Russland versucht erneut als Grossmacht im ganzen Raum zu wirken, wie es damals die Sowjetunion tat, versucht zu einem imperialistischen Unterdrückerstaat zu werden, wie das die Sowjetunion unter Chrutschow, Brechnew und Gorbatchow war. Russland hat die vier abtrünnigen Provinzen als Faustpfand benutzt, um etwas gegen den Westen in der Hand zu haben und sie bis heute nicht anerkannt, um "offene Fragen" zur Verfügung zu haben. Im Extremfall kann Russland also immer noch seine Schützlinge fallen lassen wie ein heisses Eisen.

Aber in diesem Fall hat Russland nur geantwortet, so wie es ihm zustand, nachdem 100 Mann seiner ‚Friedenstruppen’ getötet worden waren, darunter zumindest ein Teil exekutiert.

Die Bedingungen des unterschriebenen Waffenstillstands machen schon deutlich: Russland hat keinerlei Zugeständnisse gemacht. Warum sollte es auch. Kein Wort zum Status von Süd-Ossetien und Abchasien. Mit anderen Worten: Der vom Westen vogeschlagene Waffenstillstand hat die Niederlage Georgiens akzeptiert. Die Alternative wäre gewesen, Russland wäre weiter vorwärts marschiert. Weder Südossetien noch Abchasien werden je wieder Bestandteil Georgiens sein – das steht schon fest. Der Westen wird ein grosses Geschrei darum machen, aber die Separation ist nun besiegelt.

Man kann sich schon vorstellen, wie Berg-Karabach und Transnistrien darauf reagieren werden. Für Spannungen und auch bewaffnete Auseinandersetzungen in der Region wird gesorgt sein.

Das steckt im Kern auch dahinter, wenn man fragt, warum der Westen diesen Streit vom Zaum gebrochen hat. Es müssen Krisenherde geschaffen werden, die möglichen Terrorismus erzeugen, der dann wiederum zum Abbau der bürgerlichen Rechte in den westlichen Staaten dient.

Aus dieser Sicht hat Süd-Ossetien sehr viel mit Deutschland zu tun.


Veröffentlicht am 22. August 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung


Zusatz zum Artikel (1.9.08)

Habe soeben noch eine Information aus der "India Times" entdeckt, die besonders deutlich die eigentliche Rolle der Vereinigten Staaten aufdeckt:

Zitat aus

https://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=2753&type=98

Botschafter M.K. Bhadrakumar, einstiger Karrierediplomat des Indian Foreign Service (IFS) [unter anderem in der Sowjetunion, Südkorea, Sri Lanka, Deutschland, Afghanistan, Pakistan, Usbekistan, Kuwait und in der Türkei], konstatiert in einem Beitrag in der «Asia Times» die Desinformation, mit der das Bush-Regime und die US-Medien hausieren gehen, und berichtet, dass "Russland bei Ausbruch der Gewalttätigkeiten versucht hatte, den Uno-Sicherheitsrat dazu zu bringen, eine Erklärung abzugeben, die von Georgien und Südossetien ein sofortiges Niederlegen der Waffen forderte. Aber Washington war nicht interessiert."

Dienstag, 19. August 2008

Hartz IV: Unter den Brücken schlafen?

Abwimmeln; nicht zahlen; nicht annehmen; Gerichtsbeschlüsse nicht durchführen; verhungern lassen

Von Karl Weiss

Das ‚Jobcenter‘ in Berlin-Neukölln hat wiederholt einer jungen Frau die Leistungen versagt, die ihr zustanden. Sie wurde praktisch verurteilt, unter den Brücken zu schlafen. Die Leitung des Jobcenters wollte dazu eine Erklärung abgeben, ließ es aber dann. Obrigkeit braucht sich nicht zu rechtfertigen, warum auch, sie ist schließlich die Obrigkeit, oder? Erst als die Polizei im ‚Jobcenter‘ auftauchte und die Pfändung durchsetzen wollte, gab man Zahlungsanweisung – sagte man jedenfalls.

Weg mit Hartz IV

Patrizia, 19 Jahre alt, war von ihrem Vater auf die Straße gesetzt worden. Nun obdachlos, versuchte sie dem Schicksal zu entgehen, unter den Brücken schlafen zu müssen. Die junge Frau ging also zum ‚Jobcenter‘ Neukölln und wollte ihren Antrag auf Sozialleistungen abgeben. Der wurde aber nicht angenommen, weil angeblich Unterlagen fehlten.

Das kennen Tausende von Hartz-IV-Verurteilten: Ständig wird in den Centers-ohne-Job versucht, die Antragsteller abzuwimmeln. Obwohl Anträge angenommen und bearbeitet werden müssten, auch wenn der Antragsteller noch weitere Unterlagen beibringen soll, wird dies nicht getan. Andauern wird man unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt. Nur hatte Patrizia kein Zuhause mehr, was das „Jobcenter“ aber völlig kalt ließ.

Hunderte solcher Fälle werden nicht bekannt, weil die Menschen nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Patrizia fand eine Bürgerberatungsstelle, deren Vorsitzender ihr zunächst für einige Tage eine Schlafstelle besorgte. Anschließend vereinbarte er mit dem „Jobcenter“ einen Notfalltermin, eine Einrichtung, die von den „Jobcentern“ überhaupt nicht bekannt gemacht wird.

Der angebliche Notfalltermin wurde aber für drei Wochen später angesetzt!

Sarkasmus ein: „Na, da haben wir es den Arbeitslosen wieder gezeigt! Warum bringen sie sich auch nicht einfach um, anstatt der Allgemeinheit auf der Tasche zu liegen!“ – Sarkasmus aus.

Sie hatte sich inzwischen schon nach einer Wohnung umgesehen und auch eine gefunden, nur hätte das Amt die Kosten übernehmen sollen. Da man aber drei Wochen keine Zeit für sie hatte, war dann auch die Wohnung weg. Immerhin wurde ihr ein Lebensmittelgutschein über 30 Euro ausgehändigt.

Dies ist eine andere Praxis, die immer mehr um sich greift. Statt die gesetzliche Leistung auszuzahlen, gibt man den Arbeitslosen Lebensmittelgutscheine, um sie noch weiter zu demütigen. Wie 30 Euro für drei Wochen hätten reichen sollen, das weiss nur Gott – und Sarrazin natürlich.

In einem Eilverfahren entschied das Berliner Landgericht, der Antragstellerin stehen monatlich 277, 60 Euro zu. Trotz dieser Entscheidung zahlte das Amt nicht. Patrizia war verurteilt, unter den Brücken zu schlafen. Und für wie langte glaubte das Amt, dass 30 Euro reichen würden, um nicht zu verhungern?

Der Vorsitzende der Bürgerberatung erwirkte nun einen Pfändungsbeschluss gegen das Amt. Aber erst, als er mit der Pfändung und der Polizei zur Durchsetzung der Pfändung im Amt erschien, erklärte man sich schließlich bereit, den Zahlungsauftrag in den Amtsweg zur Nürnberger Bundesanstalt zu geben.

Ob er dort angekommen ist oder ob noch eine weitere Schikane kommt, weiss man noch nicht.

Hätten sich nicht mitleidige Menschen Patrizias angenommen, wäre sie sowieso schon verhungert.

Das ist die Realität, die nicht nur Schröder und Clement, sondern die ganze SPD beschloss, die Wowereit und Sarrazin umsetzen, die von den beiden ach wie so christlichen Parteien und den Grünen mit abgesegnet wurde - und natürlich auch der liberalen Partei – aber das war sowieso selbstverständlich.


Veröffentlicht am 19. August 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung


Andere Artikel zur Hartz IV im Blog:

"Dossier Hartz IV – Hindernisrennen ins Elend"

"19 Fälle – Die Realität von Hartz IV"

"Nicht genug zu essen – Hartz IV – Realität in Deutschland 2007"

"Die neuesten Hartz-Sauereien – Das Mass ist voll!"

"Hartz IV – Absurd, absurder, am absurdesten – Das Chaos war geplant!"

"Hartz IV – Berliner Zeitung schert aus dem Chor der Missbrauchsankläger aus"

"5 Millionen Arbeitslose einstellen"

"Grundversorgung von 1600 Euro käme billiger als heute."

"Arbeitslosigkeit ist zum Delikt geworden"

"Hartz IV führt in Obdachlosigkeit"

"Hartz IV–Empfänger müssen kalt duschen, im Dunkeln sitzen und Wasser trinken"

"Hartz IV: Vertreibung von Mietern"

"Hartz IV–Betroffene: Daumenschrauben anziehen!"

"Hartz-IV: Jetzt auch noch Sippenhaft"

"Hartz IV: Nieder auf die Knie!"

"Kein Anspruch auf fabrikneue Kleidung"

"Hartz IV: Der angeleinte Mensch"

"Hartz IV: Der Fall Brigitte Vallenthin"

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